Die Welt im Wandel und wir
Was können wir in Zeiten tun, in denen der globale Norden die Gelder für die internationale Zusammenarbeit kürzt, obwohl hunderte Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit angewiesen sind? Mit dieser Frage und der Rolle der Kirche an diesem Wendepunkt beschäftigte sich die Tagung «Welt.Wandel.Wir» des Fokus Welt der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn am 21. November in Bern.
Solidarität wirkt
Dass internationale Solidarität trotz aller Krisen wirkt, bestätigte Stefan Gisler vom HEKS (Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz). Das Hilfswerk erreicht mit 225 Projekten, 200 Partnerorganisationen und Einsätzen in 35 Ländern direkt 3,88 Millionen Menschen. Gisler wies zugleich auf die veränderte Geberlandschaft hin: «Solidarität ist nicht mehr an Bedürfnisse gebunden, sondern an politische Interessen.» Globale Trends wie Autoritarismus, Nationalismus und Neoliberalismus würden die regelbasierte internationale Zusammenarbeit zunehmend verschlechtern.
Es wird nicht vorher kommuniziert, wenn es zu Kürzungen kommt. Man wacht eines Tages auf und hat kein Geld mehr
Die Situation vor Ort
Eine Live-Schaltung in den Südsudan – vom ersten Schnee im winterlichen Bern in die sommerliche, krisengeplagte Realität vor Ort – verband die Teilnehmenden mit Guliba Florence Hakim, Koordinatorin für Mission 21, dem Evangelischen Missionswerk Basel. Dort war die amerikanische Entwicklungsbehörde USAID bislang der wichtigste Geldgeber. Nun sind die Mittel weggebrochen – ohne Vorwarnung: «Es wird nicht vorher kommuniziert, wenn es zu Kürzungen kommt. Man wacht eines Tages auf und hat kein Geld mehr», berichtete Hakim. Die Folgen seien dramatisch: humanitäre Operationen wurden reduziert und 7,7 Millionen Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen oder verlieren den überlebenswichtigen Zugang zu HIV-Medikamenten, ganz einfach, weil diese nicht mehr erschwinglich sind.
Auf die Frage des Moderators David Karasek, worauf die Resilienz ihres Volkes beruhe, verwies Hakim neben kulturellem Erbe und starkem Gemeinschaftsgefühl auch auf den Glauben: «Alles passiert aus einem Grund. Wir werden morgen ein besseres Leben haben.» Hoffnung schöpfe sie insbesondere aus den Erfolgen der Projekte im Südsudan, die bereits Wirkung zeigten.
Die Kirchen haben eine ethische Verantwortung. Sie setzen Werte und sind für viele das moralische Gewissen.
Unterschiedliche Perspektiven
Der dritte Programmpunkt war eine Podiumsdiskussion mit drei unterschiedlichen Perspektiven auf die internationale Zusammenarbeit. Fabian Molina, SP-Nationalrat aus Zürich, vertrat die Politik. Nach jahrzehntelangen Erfolgen stehe man heute an einem historischen Wendepunkt. Ein Aufschrei bleibe jedoch aus – nicht wegen mangelnden Interesses, sondern wegen fehlender Informiertheit. Die Berichterstattung über den globalen Süden nehme stetig ab, so Molina.
Adina Rom, Ökonomin an der ETH und Expertin für Wirkungsanalysen in der humanitären Hilfe, verwies auf eine Umfrage der Zürcher Hochschule, wonach sich 2023 neunzig Prozent der Befragten gegen Kürzungen in der internationalen Zusammenarbeit aussprachen. Die Politik in Bern handle damit am Volkswillen vorbei.
Die HEKS-Direktorin Karolina Frischkopf sprach über die verheerenden Auswirkungen der Ausgabekürzungen im globalen Norden auf NGOs. Man befinde sich in einer Phase der Hyper-Priorisierung: «Das heisst, Sie müssen den Hungernden wegnehmen, um es den Verhungernden zu geben.» Zudem wurde die Rolle der Kirche thematisiert: «Die Kirchen haben eine ethische Verantwortung. Sie setzen Werte und sind für viele das moralische Gewissen», so Frischkopf. Sie nehme jedoch eine gewisse Zurückhaltung wahr und wünsche sich mehr Mut und deutlicheren Protest – auch nach innen.
Von der Theorie in die Praxis
Diese Gedanken wurden in den anschliessenden Workshops aufgegriffen. Ziel war es, konkrete Aktionspläne zu entwickeln, die innerhalb der Kirche umgesetzt werden können. «Lasst uns radikal sein», lautete das Fazit der Arbeitsgruppe zum Thema Klimagerechtigkeit. Eine Kirchgemeinde, die bei sich selbst klimafreundlich handle, könne nach aussen glaubwürdiger auftreten.
Eine weitere Gruppe befasste sich mit der Jugend. Ihr Fazit: Junge Menschen sollen so sein dürfen, wie sie sind. Begegnungen auf Augenhöhe – ohne Forderungen – schaffen Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Ein dritter Workshop betonte die bessere Nutzung bestehender Netzwerke, auch im Kleinen. Im Hinblick auf die Stärkung der Internationalen Zusammenarbeit wurde eine strategische Vernetzung der Kirche mit Alliance Sud vorgeschlagen.
Den Abschluss der Tagung bildete eine Spoken-Word-Performance von Lisa Christ. Mit ihren Texten spannte sie den thematischen Bogen noch einmal weit: von Heimat über Klimagerechtigkeit bis hin zu Vertrauen in die Welt und in die Mitmenschen.
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