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Dossier —– ENSEMBLE 2016/5

Das Buch «Männerseelsorge» von David

Kuratle und Christoph Morgenthaler

unternimmt nichts weniger als den Versuch,

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

der Männerseelsorge darzustellen.

Von Rolf Hubler

– Die Autoren lassen keinen Zweifel

offen, von welcher Warte aus sie diesen Versuch

unternehmen: «Dieser Entwurf einer Männerseel-

sorge ist im Kontext kritischer Männerforschung

verortet», und etwas weiter: «Es gibt kein Zurück

hinter die Einsicht feministischer Theologie, dass

die biblischen und kirchlichen Traditionen stark

von patriarchalen Verstehens- und Verhaltensmus-

tern geprägt sind.» Mit anderen Worten: Die «Pro-

grammierungen» sind nicht nur, aber auch gender-

bedingt. Ausgehend von diesen Prämissen stecken

die Autoren die Seelsorge konzeptionell, historisch

und theologisch ab. Das Buch ist alles andere als

eine aus der Theorie und auf die Theorie gerichte-

te Abhandlung, auch wenn leitmotivisch immer

wieder Erkenntnisse aus einerseits personenzent-

rierten und andererseits systemisch-lösungsorien-

tierten Seelsorge-Ansätzen eingewoben werden.

Das «Salz» des Buches machen vielmehr die vielfäl-

tigen Bezüge und Beispiele aus der Seelsorgepraxis

der beiden Autoren – und weiterer «Zeugen» aus

der Praxis – aus, die nicht nur ausführlich beschrie-

ben, sondern auch sorgfältig und breit gefächert

gedeutet werden.

Verhärtete Sichtweisen aufbrechen

In nur einem Drittel der Seelsorgebegegnungen

sind Männer involviert. Sie tun sich schwerer als

Frauen, die entsprechenden Angebote zu nutzen.

Die Gründe dafür sind vielfältig und werden im

Buch wiederholt angeführt. Es ist von daher für

Seelsorger wichtig und vorrangig, niederschwel-

lige Angebote zu bieten. Oft sind es sogenannte

Kasualien wie Taufe, Hochzeit oder Beerdigung,

die Gelegenheit bieten, ein Gespräch anzu­

knüpfen.

Zentral in allen Seelsorgebegegnungen ist die

Sprache – diese kann auch nonverbal sein –, wie

über etwas gesprochen wird, ist genauso wichtig

wie das Was. Manchmal kann der Anstoss darin

bestehen, einander nicht gegenüberzusitzen, son-

dern Schulter an Schulter. Diese «andere» Sprache

kann dazu führen, dass verhärtete Sichtweisen

aufgebrochen werden und «der Stein ins Rollen

gerät».

Assortierter Werkzeugkasten

Das Buch arbeitet die Herangehensweisen und

möglichen Strategien für verschiedenste Settings

heraus: Mit einem erkrankten Mann, der im Spital

liegt und in seiner körperlichen Seinsweise einge-

schränkt ist, spricht man anders als mit einem

Mann, der in einem «totalen System» (dem Knast)

in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist,

während in der Gemeindeseelsorge, der Trauerar-

beit oder der Paarberatung wiederum andere Spek-

tren abgedeckt werden müssen. Ein Ziel soll nie

aus den Augen verloren werden: Es geht nicht da-

rum, Männer kirchlich zu bewegen, sondern dar-

um, ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich selbst zu

bewegen. Der Einäugigkeit des Polyphem wird

eine listenreiche Mehräugigkeit eingesetzt (listen-

reich ist das Beiwort des Odysseus), oder moderner

gesagt: ein dynamisches Konzept des Mannseins,

in dem «kreative Suchbewegungen nach alltags-

tauglichen, befriedigenden Formen des Mannseins

unterstützt werden».

Wegweisend bleibt der, ja: Der Weg nach Em-

maus, den Jesus mit Kleopas und einem weiteren

Jünger unter die Füsse genommen hat. Er gesellt

sich zu ihnen («joining») und nimmt ihren Schritt

auf («pacing»). Er hört zuerst zu, dann deutet er

seine eigene Geschichte um, von einer Trauma­

tisierung in eine «Heilungsnarration» (Lk 24,

13–35 EU).

Letztlich macht der Seelsorger den Männern

das Angebot, «auszuprobieren, wie es wäre, wenn

er nicht so wäre, wie er ist». Wie dieses Angebot

zu gestalten sei – dazu liefert das Buch einen gut

assortierten Werkzeugkasten.

Impulse für eine gendersensible

Beratungspraxis

M Ä N N E R S E E L S O R G E

«Männerseelsorge: Impulse für eine gender-

sensible Beratungspraxis»,

von David Kuratle,

Christoph Morgenthaler. Zielgruppe: TheologInnen, Pastoralpsycho­

logInnen, ReligionswissenschaftlerInnen, theo-

logisch/an Religion Interessierte.

Verlag Kohlhammer, ISBN 978-3-17-028953-6.