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Fokus —– ENSEMBLE 2017/17
Ende 2016 wurde das Thema Kirchenasyl
wieder aktuell, nachdem Kirchgemeinden
schutzsuchenden Menschen für kurze Zeit
Kirchenasyl gewährt hatten. Der Synodalrat
nahm dies zum Anlass, Grundsätze zum
Kirchenasyl und eine Checkliste für Kirch-
gemeinden zu verfassen.
Von Anne-Marie Saxer*
Ihre Kirchgemeinde begleitet seit längerem eine
Mutter mit Kindern, die ein Asylgesuch stellte.
Schon vor einiger Zeit schrieb die Rechtsbera-
tungsstelle eine Beschwerde ans Bundesverwal-
tungsgericht. Endlich kommt das Urteil – es ist
negativ. Die Familie muss ausreisen. Die Mutter ist
verzweifelt, sie könne unmöglich in ihr Herkunfts-
land zurückkehren. Die Kirchgemeinde kennt ihre
Fluchtgeschichte und vertraut ihren Angaben. Was
nun? Käme ein Kirchenasyl in Frage?
«Widerstand im Rechtsstaat»
Fragen rund um dieses umstrittene und schnell
sehr emotionale Thema klären die neuen Grund-
sätze des Synodalrats: Im modernen Rechtsstaat
gibt es kein Kirchenasyl mehr, so wie es von der
Antike bis ins Mittelalter bekannt war. Christinnen
und Christen bejahen den Rechtsstaat als recht
liches Konstrukt, um die Menschenwürde aller zu
schützen. Kirchliche Gebäude können keine
«rechtsfreien Orte» mehr sein. Das moderne Kir-
chenasyl ist deshalb nicht als fundamentaler «Wi-
derstand gegen den Staat» zu verstehen, sondern
als «Widerstand im Rechtsstaat» im Sinne eines
Appells, der an die Unvollkommenheit jeder recht-
lichen Ordnung erinnert und damit der Weiterent-
wicklung des Rechts und der Vollzugspraxis dient.
Kirchenasyl ist Ultima Ratio, also
die letzte Möglichkeit, wenn alle
rechtlichen und weiteren – auch in-
formellen – Möglichkeiten ausge-
schöpft sind und die Ausschaffung
unmittelbar droht. Kirchenasyl darf
nicht zur Regel werden, sonst verliert
es seine Wirkung.
Checkliste für Kirchgemeinden
Mit dem Kirchenasyl übernimmt die
Kirchgemeinde eine grosse Verant-
wortung, einerseits gegenüber den
schutzsuchenden Personen, ander-
seits gegenüber den Mitgliedern der
Gemeinde. Eine sorgfältige Planung
und Vorbereitung ist wichtig. Die
Checkliste Kirchenasyl soll der Kirch-
gemeinde dabei helfen. Das Dossier
der Schutzsuchenden muss durch
erfahrene Juristinnen und Juristen
überprüft und mögliche Perspektiven
müssen abgeklärt werden. Das Kirchenasyl ist ei-
ne zeitlich befristete Massnahme. Die Betroffenen
sind gut und verständlich über die Chancen und
Risiken wie auch über die eingeschränkten Le-
bensbedingungen während des Kirchenasyls zu
informieren. Sie entscheiden selber, ob sie ins Kir-
chenasyl eintreten wollen. Der Kirchgemeinderat
und das Team der Mitarbeitenden haben die Ak-
tion gemeinsam zu tragen. Personelle, finanzielle
und räumliche Ressourcen müssen abgeklärt,
Aufgaben und Verantwortlichkeiten verteilt wer-
den. Der Kontakt mit den staatlichen Migrations-
behörden ist zwingend so rasch als möglich her-
zustellen, der Dialog zu suchen.
K I R C H E N A S Y L
Ausübung des Wächteramtes
Die Grundsätze zum Kirchenasyl des Synodal-
rats sowie die Checkliste können auf der
Website
www.refbejuso.ch> News
herunter-
geladen werden. Weitere Informationen:
Anne-Marie Saxer-Steinlin,
Fachstelle Migration, Tel. 031 340 26 12,
anne-marie.saxer@refbejuso.ch* Leiterin Fachstelle Migration
Pfarrer und
Kirchgemeinderat
stellten sich in
Belp Ende 2016
hinter die Mutter
und ihren Sohn
aus Eritrea.
A Belp, le pasteur
et la paroisse font
corps autour d’une
mère et de son fils,
réfugiés d’Erythrée
(fin 2016).
©Manu Friederich