ENSEMBLE Nr. 4 - Dezember 2015 - page 10

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Dossier —– ENSEMBLE 2015/4
lität versorgt worden. In der Hoffnung, die Situa-
tion zu verbessern und den Versorgungsrhythmus
des Wassernetzes zu erhöhen, hatte die boliviani-
sche Regierung mit einem privaten Konsortium
einen Konzessionsvertrag über 40 Jahre unter-
zeichnet. Die Tarife für das Trinkwasser wurden
kurze Zeit danach massiv erhöht, und zahlreiche
Haushalte mussten einen erheblichen Teil ihres
Budgets für die Bezahlung der Wasserrechnung
aufwenden, ohne dass sich die Qualität des Was-
sers verbessert hätte. In ihrer Verzweiflung griff
die Bevölkerung zum Mittel des Generalstreiks
und blockierte während vier Tagen sämtliche
Strassen. Neben der Tatsache, dass sie mehr be-
zahlen mussten, fürchteten die Bewohnerinnen
und Bewohner von Cochabamba auch, dass die
verschiedenen Quellen, welche die Landwirtschaft
mit Wasser versorgten, ebenfalls besteuert wür-
den. Bei den Quellen handelte es sich in erster
Linie um Brunnen, die von Bauerngewerkschaften
gegraben worden waren. Nach mehreren Monaten
mit zivilen Unruhen, die hundert Verletzte und
einen Toten forderten, wurden die Proteste einge-
stellt, nachdem die Regierung zugestimmt hatte,
den Vertrag mit dem Konsortium rückgängig zu
machen und die Wasserversorgung wieder der
Stadtverwaltung zu übertragen.
Risiko einer Landflucht
Für die Fachleute, die sich um die Sicherheit und
das Risikomanagement im Bereich Wasserressour-
cen kümmern, besteht das grösste Problem in
Regionen dieser Erde, die nicht über genügend
Wasser für die Bewässerung der landwirtschaftli-
chen Anbauflächen verfügen. Im Mittleren Osten,
in Nordafrika und Asien kommt es oft vor, dass sich
ganze Gruppen von arbeitslosen Menschen ge-
zwungen sehen, die ländlichen Gebiete in Rich-
tung Stadt zu verlassen, weil sie nicht mehr ge­
nügend Wasser haben, um ihre Felder zu
bewässern. Diese Migration führt zu politischer
Instabilität. Weil sie grenzüberschreitend ist, kann
sie auch Spannungen zwischen Staaten nach sich
ziehen. In den 60er-Jahren errichtete Indien in Far-
raka einen Staudamm, der Bangladesch teilweise
das Wasser des Ganges entzog. Der Staudamm
sollte den Hafen des 160 Kilometer weiter südlich
gelegenen Kalkuttas von Schlamm befreien. Die
Abschwächung der Fliesskraft des Ganges führte
dazu, dass die Menge des Oberflächen- und Grund-
wassers in Bangladesch zurückging, die Schifffahrt
erschwert wurde, der Salzgehalt zunahm, die
Fischgründe kleiner wurden und die Versorgung
mit Wasser und damit die Gesundheitsversorgung
erschwert wurde, was schliesslich dazu führte, dass
es zu einer gewissen Abwanderung der Bevölke-
rung kam. Ironie des Schicksals: Die Migration fand
vor allem in Richtung Indien statt.
©Peter Balwin /AURA
Schmelzwasserfluss
in der Antarktis.

Cours d’eau de fonte
dans l’Antarctique.
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