ENSEMBLE Nr. 1 - August 2015 - page 16

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Dossier —– ENSEMBLE 2015/1
Michael Graf, Präsident des Pfarrvereins Bern-Jura-
Solothurn –
Bis vor sehr kurzer Zeit gab es in Par-
lament und Regierung einen unausgesprochenen,
aber völlig klaren Konsens: Der Kanton Bern ist
ein Kanton, in dem die Kirche sehr geschätzt wird.
Und zwar, weil sie bis in den hintersten Winkel
unseres weitläufigen Gebietes präsent ist – aber
auch in den sozialen Brennpunkten unserer Städ-
te. Weil sie solid und tolerant und unaufgeregt für
die Menschen da ist, ohne sich aufzudrängen. Weil
sie enorm viel für das soziale und kulturelle Leben
in Dörfern und Quartieren tut. Weil sie versucht
da zu sein, wenn sie gebraucht wird.
Bis vor sehr kurzer Zeit gehörte es zum Selbst-
verständnis unseres Kantons, dass er die Pfarr-
schaft anstellt und besoldet. Dieses Selbstver-
ständnis lautete: Wir können nicht und wollen
nicht die Tätigkeit unserer Landeskirchen finan-
ziell unterstützen. Aber wir können unserer Be-
völkerung Pfarrer zur Verfügung stellen. Wir wol-
len, dass sie sehr gut ausgebildet werden, wir
wollen, dass sie niemanden ausgrenzen, wir wol-
len, dass sich jeder an sie wenden kann – aber
keiner muss. Das kostet. Aber das ist es uns wert.
Kehrtwende der Regierung
Die Regierung des Kantons sieht das jetzt ziemlich
anders. Sie hat ausgerechnet, dass es den Kanton
längerfristig billiger kommt, wenn er die Pfarr-
schaft der Kirche abgibt. Sie findet, die Kirche
könne sich stärker an den Kosten für die Pfarr-
schaft beteiligen – obwohl viele Kirchgemeinden
vor finanziell harten Zeiten stehen.
Sie möchte überhaupt mit den Kirchen weni-
ger zu tun haben. Neu soll nach dem Willen der
Regierung der Kanton Bern ein Staat sein mit ge-
nug grosser Distanz zu den Kirchen – und zu allen
Religionen.
Und nun macht die Regierung hier vorwärts und
schlägt dem Parlament vor, als ersten Schritt die
Pfarrdienstverhältnisse an die Kirche abzutreten.
Wir glauben nicht, dass es für die Bevölkerung
gut ist, wenn sich der Kanton aus
seiner direkten Mitverantwortung
für die Pfarrschaft verabschiedet.
Wir sind überzeugt, dass der Kan-
ton mit den Kirchen konstruktiv
zusammenarbeiten sollte. Es dünkt
uns ganz wichtig, dass alle Glau-
bensgemeinschaften, denen das
Gemeinwohl am Herzen liegt, vom
Kanton gefördert werden.
Religionspolitisches Vakuum
Darum schlagen wir dem Grossen
Rat vor, dass er viel mutiger als
der Regierungsrat ans Werk geht.
Wir hoffen, er weite den Blickwin-
kel der Regierung weg von der
«Übergabe der Pfarrschaft». Sie
bringt der Bevölkerung nichts
ausser mehr Distanz zu den Kir-
chen und ein religionspolitisches
Vakuum.
Die Berner Regierung
will nicht mehr
Der Pfarrverein wehrt sich dagegen, dass
die Berner Regierung die Pfarrerinnen
und Pfarrer loswerden will. Der Kanton
soll vielmehr sein kirchen- und religions-
politisches Engagement stärken.
S T E L L U N G N A H M E P F A R R V E R E I N
© zVg
Michael Graf
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