ENSEMBLE Nr. / N° 70 - Juli / Juillet 2023

6 Dossier —– ENSEMBLE 2023/70 aufwand für einzelne Tätigkeiten fest, fokussiert also stärker auf die zu leistenden Stunden als auf den Inhalt der Arbeit. Dies kann zu einem gewissen Formalismus, gar zur «Erbsenzählerei» führen. Neuer Stellenbeschrieb Das oberste Ziel des Stellenbeschriebs sollte sein, die Pfarrpersonen bei der Wahrnehmung des Auftrags, den sie mit der Ordination erhalten haben, zu unterstützen. Konkret: Er soll der Pfarrperson und der Kirchgemeinde dazu dienen, zu klären, in welcher Weise die Kommunikation des Evangeliums vor Ort stattfinden wird. Und dies so, dass der Berufungs- und Professionscharakter des Pfarramts möglichst gut gewährleistet bleibt. Entscheidend ist schliesslich, dass das Verhältnis von Aufgaben und Ressourcen in einer ausgewogenen Balance stehen – denn überforderte, ausgelaugte Pfarrpersonen können keine überzeugenden Verkünderinnen und Verkünder des Evangeliums sein. An den diesjährigen Pfarrkonferenzen soll ein Modell zur Diskussion gestellt werden, das genau dies zu realisieren versucht. Es handelt sich um ein Präsenzstundenmodell, wie es seit einigen Jahren in der Evangelischen Kirche von Westfalen verwendet wird. Auch andere deutsche Landeskirchen sind daran, das Modell zu erproben. Der Ansatz des Modells ist in seiner etwas umständlichen Bezeichnung enthalten: Massgebend für die Regelung der pfarramtlichen Tätigkeit ist nicht ein fixes Pensum von Arbeitsstunden, es sind stattdessen die Zeiten, in denen eine Pfarrperson öffentlich präsent ist, also beispielsweise Gottesdienste, Kasualien, Besuche, Vorträge, Sitzungen. Nur diese Termine beziehungsweise die dafür aufgewendete Präsenzzeit werden im Stellenbeschrieb festgehalten. Für jede Präsenzstunde wird eine weitere Stunde zur Vor- und Nachbereitung hinzugerechnet. So geht man bei einer Vollstelle von durchschnittlichen 21 Präsenzstunden aus (bzw. 20 Stunden plus eine Stunde für Unvorhergesehenes). Was ist der Vorteil dieses Modells? Kirchgemeinde und Pfarrperson können auf einfache Weise bestimmen, welche Akzente man im kirchlichen Leben setzen möchte. Sollen diese eher auf dem Gottesdienst liegen, oder bei der Kinderarbeit? Wichtig ist dann, dass es dem Pfarrer oder der Pfarrerin überlassen ist, wie viel Zeit er oder sie für die einzelnen Tätigkeiten investieren will oder muss. Nicht alle brauchen gleich lange für das Schreiben einer Predigt, und nicht alle bereiten eine Unterrichtsstunde gleich aufwändig vor. Individualität steht hier im Vordergrund, Freiheit und damit auch die für den Pfarrberuf wichtige Eigenverantwortung. Der Kirchgemeinderat gibt ein Stück Kontrollmöglichkeit aus der Hand, er gewinnt im Gegenzug aber besser motivierte Pfarrpersonen. Basis der Zusammenarbeit sind das gegenseitige Vertrauen und gemeinsame Absprachen. Diese Art, die gemeinsame Verantwortung für das kirchliche Leben wahrzunehmen, kann für beide Seiten nur ein Gewinn sein. Die Kirchgemeinden haben unterschiedliche Aufgaben: Pfarrer Beat Allemand spricht bei der Gedenkfeier für den verstorbenen Künstler Franz Gertsch. Les paroisses ont des tâches différentes: le pasteur Beat Allemand prend la parole lors de la cérémonie commémorative en l’honneur de l’artiste décédé Franz Gertsch. © Keystone / Peter Klaunzer

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