ENSEMBLE Nr. / N° 35 - Januar / Janvier 2019

20 Fokus —– ENSEMBLE 2019/35 Werden Menschen Zeugen oder Opfer von lebensbedrohlichen Situationen, kann dies die Person psychisch verwunden. Geht dies auf ein belastendes Ereignis von ausser- gewöhnlichem Ausmass zurück, spricht man von einem Trauma. Wie kann man ein Trauma erkennen und richtig darauf reagieren? Von Evelyne Felder* Überwältigende, belastende Situationen lösen im Körper starke Stressreaktionen aus. Hält die akute Stressreaktion länger als vier Wochen an, spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstö­ rung (PTBS). Es handelt sich um eine psychische Erkrankung, die mittels Psychotherapie behandelt werden kann. Zusätzlich zur Therapie können frei­ willig Engagierte einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung von traumatisierten Geflüchteten leisten. Traumasymptome Patientinnen und Patienten mit einer PTBS leiden unter unkontrollierbarem Wiedererleben der belastenden Situation durch Albträume oder Flashbacks. «Auch früher erlittene körperliche Schmerzen können erneut auftreten, obwohl die körperliche Verwundung geheilt ist», erklärt Àdàm Bodò, Facharzt für Kinder- und Jugend­ psychiatrie und -psychotherapie. Aus Angst vor einemWiedererleben entwickeln die Betroffenen Vermeidungsstrategien. Sie umgehen beispiels­ weise Orte, Personen oder Tätigkeiten, die sie an das Geschehene erinnern, oder unterdrücken ge­ wisse Gefühle und Gedanken. «Dies kann den All­ tag der Patientinnen und Patienten enorm ein­ schränken», weiss der Traumaspezialist mit Praxis in Bern. Eine starke Form der Vermeidung bilden sogenannte Dissoziationen. Dabei nimmt eine Person Gefühle nicht mehr oder nur dumpf wahr. Verschiedene psychische Funktionen sind beein­ trächtigt. Die Beschwerden reichen von Gedächt­ nisstörungen bis hin zu chronischen Lähmungen. Viele Menschen mit einem Trauma fühlen sich ausserdem ständig in Gefahr und sind in Alarm­ bereitschaft. Die innere Unruhe macht sie leicht reizbar und erschöpft. Geflüchtete waren häufig über längere Zeit mehreren traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Dies führt dazu, dass sie Symptome einer komple­ xen Belastungsstörung zeigen. Dazu gehören zu­ sätzlich zu den genannten Beschwerden unter anderem Schwierigkeiten im Umgang mit Nähe und Distanz zu Mitmenschen, rücksichtsloses Ver­ halten oder Gefühle von tiefer Scham und persön­ lichem Versagen. Weg der Therapie Die Eindrücke während einer traumatischen Situ­ ation sind für die Betroffenen so überwältigend, dass sie sie nicht bewusst einordnen können. Die Erinnerungen bleiben fragmentarisch und un­ kontrollierbar. Das Ziel einer Traumatherapie ist es, dass die Betroffenen das Geschehene in ihr Leben integrieren und es ausdrücken können. Àdàm Bodò erklärt: «Es geht darum, dass die Patienten für ihre Geschichte eine neue Narration finden. Dies gibt ihnen die Kontrolle über das Geschehene zurück. Sie werden vom ausgeliefer­ ten Objekt zum erzählenden Subjekt und in der eigenen Erzählung vom Opfer zum Überleben­ den.» Die Therapie war erfolgreich, wenn die Person sich freiwillig an das belastende Ereignis erinnern kann und sie dabei keine unangenehmen Symptome wie beispielsweise Angstzustände erlebt. Dies bedeutet auch, dass sie sich nicht mehr mit Vermeidungsstrategien durch das Leben schlagen muss. Die Aufarbeitung des Geschehenen daure häufig mehrere Jahre, gibt der Traumaspezialist zu bedenken. Ausserdem sei eine bewusste Aus­ einandersetzung mit dem traumatischen Erlebnis erst möglich, wenn die Person real in Sicherheit ist und keine Angst haben muss, erneut in eine traumatische Situation zu geraten. Bei Geflüchte­ ten, die sich noch im Asylverfahren befinden oder sich aufgrund einer vorläufigen Aufnahme vor einer Rückweisung fürchten, sei eine Aufarbei­ tung der Vergangenheit zu früh und noch nicht möglich. In solchen Fällen gehe es um eine Stabi­ lisierung der Patientinnen und Patienten im Hier und Jetzt. In der Therapie lernten sie, mit den Symptomen des Traumas umzugehen. Richtig reagieren Bei einem Verdacht auf eine Traumatisierung weist Àdàm Bodò darauf hin, dass man nicht nach dem Geschehenen fragen soll. Man könne von sich selber erzählen und so indirekt anbieten, dass die Person ihre Geschichte teilt. Man dürfe dies aber nicht forcieren. Eine wichtige Rolle komme Frei­ willigen zu, wenn es um das Aufzeigen von Hilfs­ möglichkeiten geht, denn dafür brauche es ein T R A U M A T A B E I G E F L Ü C H T E T E N Die Kontrolle zurückgewinnen ©Florian Bachmeier * Fachstelle Migration

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