ENSEMBLE Nr. / N° 71 - Oktober / Octobre 2023

10 Dossier —– ENSEMBLE 2023/71 Anna-Béatrice Schmaltz leitet bei der feministischen Friedensorganisation cfd die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», die von den Reformierten Kirchen Bern-JuraSolothurn sowie einigen Kirchgemeinden unterstützt wird. Sie gibt Auskunft über die Kampagne und darüber, was geschlechtsspezifische psychische Gewalt bedeutet. Von Adrian Hauser Was ist im Zusammenhang mit der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» alles geplant? Es sind viele Veranstaltungen und Aktionen geplant, um Gewalt an Frauen und spezifisch psychische Gewalt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Unser Ziel ist, dass man vertieft über diese Themen spricht. Wir arbeiten grundsätzlich mit einem Präventionsansatz. Denn wir sind überzeugt, dass wirkungsvolle Prävention nur möglich ist, wenn die nötige Sensibilisierung und das Wissen vorhanden sind. Wir wollen mit der Kampagne auch Betroffene ansprechen, um bei diesen die Beratungsstellen bekannter zu machen. Es geht also um Sensibilisierung, aber auch um das Vermitteln von konkreten Informationen. Ganz genau. Wir wollen Hintergründe aufzeigen und erklären, warum Gewalt überhaupt stattfindet. Und wir wollen gesellschaftspolitische Forderungen stellen. Die Themen Gewalt und Gleichstellung sind beispielsweise eng miteinander verknüpft. Fehlende Gleichstellung führt zwangsläufig zu mehr geschlechtsspezifischer Gewalt. Im Gegenzug zementiert geschlechtsspezifische Gewalt bestehende Ungleichheiten. Wer beteiligt sich alles an der Kampagne? Es beteiligen sich rund 200 Organisationen und Gruppierungen daran. Das sind Kirchgemeinden, Menschenrechtsorganisationen, feministische Kollektive, Aktivistinnen, Frauenvereine, gewisse Parteien, Fachstellen wie Frauenhäuser oder kantonale Koordinationsstellen gegen häusliche Gewalt. Die Kampagne ist sehr breit abgestützt. Und Sie stellen den beteiligten Organisationen eine Art Werkzeugkoffer für eigene Aktionen zur Verfügung? Ja, wir sind das Dach der Kampagne. Wir wollen gemeinsam mit allen Beteiligten ein Zeichen setzen und auf die Thematik aufmerksam machen. I N T E R V I EW «Opfer sind nie mitschuldig» Durch die breite Abstützung erreichen wir auch sehr viele verschiedene Menschen. Nur wenn über Gewalt gesprochen wird, kann sie auch verhindert werden. Es ist nun das 16. Jahr, in dem die Kampagne durchgeführt wird. Wie hat sich die Kampagne über die Jahre entwickelt? Es beteiligen sich immer mehr Organisationen daran. Das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für das Thema hat sich vergrössert. Wurde konkret in Bezug auf Gewalt etwas erreicht? Ist diese allenfalls zurückgegangen? Das ist schwierig zu sagen, da die vorhandenen Statistiken nur beschränkt darüber Auskunft geben. Es gibt das Hellfeld, das sind Fälle, die polizeilich gemeldet und in den Kriminalstatistiken erfasst wurden. Daneben gibt es die Dunkelziffern, worüber es in der Schweiz aber zu wenig Studien gibt. Wenn der Polizei mehr Fälle gemeldet werden, muss das nicht unbedingt heissen, dass es auch mehr Gewalt gibt. Es kann auch ein positives Signal sein und bedeuten, dass sich Frauen mehr Hilfe holen. Daher ist es grundsätzlich sehr schwierig zu sagen, ob geschlechtsspezifische Gewalt zu- oder abnimmt. Was raten Sie Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt? Wir ermutigen Frauen, die Gewalt erfahren, sich an Fachstellen zu wenden, also an eine Opferberatungsstelle. In einer akuten Bedrohungssituation sind die Polizei und Frauenhäuser erste Anlaufstellen. Müssen sich Opfer erst bewusst werden, in welcher Situation sie stecken? Ja, bei häuslicher Gewalt ist es oft ein schleichender Prozess. Die Täter reden den Betroffenen häufig ein, dass diese selbst schuld sind. Es handelt sich bei den Tätern meistens auch um Personen, die den Opfern sehr nahestehen und sich nach einer Eskalation entschuldigen. Zusätzlich sind vielleicht noch Verpflichtungen da wie ein Haus oder Kinder. In dieser Gewaltspirale ist Gewaltbetroffenen teilweise nicht mehr immer bewusst, dass die Situation nicht in Ordnung ist und dass sie das Recht auf ein gewaltfreies Leben haben. Wichtig ist, dass die Opfer wissen, dass sie nie mitschuldig sind und keine Verantwortung für erlebte Gewalt tragen. Dies gilt für alle Arten von Gewalt.

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