ENSEMBLE Nr. / N° 69 - April / Avril 2023

13 ENSEMBLE 2023/69 —– Dossier «Der bewaffnete Arm» der Kirchgemeinden Das CSP Bern-Jura wurde in den 60er-Jahren gegründet. Die damalige Phase der Hochkonjunktur fiel zusammen mit der Ankunft von zahlreichen Saisonniers aus Südeuropa. Einige darunter stammten aus wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen und lebten in Armut. Die protestantische Kirche der Westschweizer Kantone empfand eine Verantwortung gegenüber diesen Migranten, die in Massen hierherkamen, die ersten Autobahnen bauten und die Fabriken am Laufen hielten. In diesem Umfeld wurde das erste CSP in Genf ins Leben gerufen, das den Saisonniers in einer sozialen Bekleidungsstelle Kleider zur Verfügung stellte. Schon bald kam einer Rechtsberatung hinzu, die Personen unterstützte, die sich mit ihren Rechten nicht auskannten. 1957 wurde ein jurassisches CSP gegründet. Es waren die Kirchgemeinden, die diese regionale Institution im Gefolge eines Beschlusses der Synode aufbauten. Das CSP nahm seine Arbeit im Herbst 1958 in einem sehr beschränkten Rahmen auf. Die Anstellung einer ersten Sozialarbeiterin erfolgte 1966. Dieses Jahr gilt heute als Gründungsjahr des CSP Bern-Jura. Seine Aufgabe besteht darin, im Namen des Evangeliums Antworten auf die sozialen Nöte und Schwierigkeiten der Gegenwart zu finden. Es legt den Kirchgemeinden, die zusammen mit den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn massgeblich zu dessen Finanzierung beitragen, Rechenschaft über seine Tätigkeiten ab. Seit seinen Anfängen ist das CSP ständig gewachsen und zählt heute über hundert Angestellte, die sich aufteilen auf die drei Standorte Moutier, Tramelan und Biel/Bienne. Nimmt man sämtliche Abteilungen zusammen, interagiert das CSP jedes Jahr mit über 3000 Personen und bietet eine sehr vielfältige und sich gegenseitig ergänzende Palette von Dienstleistungen an, die auf die Bereiche Soziales und Schuldenberatung, Paare und Familien, Recht sowie berufliche und soziale Integration aufgeteilt sind. In einer von der Krise in der Uhrenindustrie und der Industrie allgemein schwer getroffenen Region hat das CSP Bern-Jura vor allem Arbeitsmarktmassnahmen ausgebaut. Es bietet Programme für die berufliche und soziale Integration an, insbesondere in seinen Secondhandläden «Regenove». Im Januar wurde eine neue Filiale in Biel/Bienne eröffnet. Auf welche Schwierigkeiten stossen die Menschen, die bei Ihnen Hilfe suchen? Die angekündigte Wirtschaftskrise ist zwar nicht eingetreten, aber die Inflation hat sich Anfang Jahr mit der Erhöhung der Krankenkassenprämien und den gestiegenen Strom- und Gaskosten verschärft. Familien und Haushalte, die über kein Vermögen und keine Rücklagen verfügen, sind oft nicht dazu in der Lage, diese Erhöhungen aufzufangen. Was teuer ist, sind nicht mehr Dinge, die früher kostspielig waren oder nicht lebensnotwendig sind – ich denke hier beispielsweise an Fernseher, Computer oder Mobiltelefone. Was heutzutage das Haushaltsbudget am stärksten belastet, sind vor allem Krankenkassenprämien und Mieten. Das ist besonders schwierig für grosse Familien. Diese sind zwar nicht mehr so häufig anzutreffen, müssen sich aber sehr zur Decke strecken. Welche Personen kommen hauptsächlich zu Ihnen? Zu uns kommen viele geschiedene, alleinerziehende Frauen, die nicht damit gerechnet haben, in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Übrigens erstellen viele Leute gar kein Budget und geraten so in ein strukturelles Defizit. Sie möchten einen Vorschuss auf ihr Salär, das ist aber keine Lösung. Dann gibt es auch jene, die ihre Stelle verloren haben und dann geschieden wurden oder umgekehrt. Ganz generell stellen wir fest, dass ein Problem oft zu einem anderen führt. Es gibt natürlich auch diejenigen, die keine Landessprache beherrschen und es dadurch schwer haben, wieder oder überhaupt eine Arbeitsstelle zu finden. Es war deshalb richtig von uns, dass wir in den letzten Jahren die Massnahmen für die berufliche und soziale Integration beträchtlich ausgebaut haben. Die Überlegung dahinter war, eine strukturelle Antwort auf diese Art von Problemen zu finden. Stellen Sie einen Anstieg der Hilfsgesuche fest? Wir verzeichnen noch keinen massiven Anstieg von Hilfsgesuchen. Das ist aber nicht weiter verwunderlich, denn während der Pandemie erreichten uns die Hilfsgesuche mit sechs bis zwölf Monaten Verspätung. Man muss wissen, dass sich die Leute nicht sofort an uns wenden, wenn erste Schwierigkeiten auftreten. Zuerst legen sie die Rechnungen und Mahnungen auf einen Stapel. Das Problem ist für sie nicht, dass Essen auf den Tisch kommt, sondern die unbezahlten Rechnungen. Ich habe aber doch den Eindruck, dass sich einige auch in Bezug auf die Lebensmittel einschränken und weniger Gemüse, Früchte oder Fleisch einkaufen. Sie beschaffen sich die Waren in Hard-Discount-Supermärkten und kaufen lieber eine Dose Thunfisch als frischen Fisch, der immer teurer wird.

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