ENSEMBLE Nr. / N° 68 - Dezember / Décembre 2022

27 ENSEMBLE 2022 /68 —– Fokus schen Anliegen.»). Er kritisiert die zuständige Bundesrätin öffentlich («Unwahr ist, dass es nur um Einzelfälle geht.»). Er eignet sich die Kniffe des Lobbyierens an, teilt Parlamentarier und Parlamentarierinnen in Gleichgesinnte, Wankelmütige und Festgesessene ein. Er beginnt, kantonal wie national für Mehrheiten zu kämpfen. Im Berner Rathaus ist er mittlerweile ein bekannter Gast; auch in der Wandelhalle des Bundeshauses findet man ihn immer wieder. Mit auf die Zielgruppe abgestimmten Argumenten spricht er die politischen Entscheidungstragenden an – stets höflich und fundiert; immer mit Bezug zu den Menschen, die von der Politik betroffen sind. Heute betreut Jürg Schneider – neben der politischen Arbeit – über 30 Dossiers von abgewiesenen Asylsuchenden. Insgesamt waren es bisher weit über 100. Für sie alle ist und war er ein Hoffnungsanker. Grund genug für die Fachstelle Migration, Jürg Schneider und den Verein «offenes scherli» mit dem diesjährigen Förderpreis auszuzeichnen. Seit 20 Jahren wurde nie eine Einzelperson statt einer Organisation mit dem Preis ausgezeichnet. Es sind Jürg Schneiders Wille, dranzubleiben, sein Herzblut für die Menschen und sein unglaublicher, ehrenamtlicher Einsatz auf verschiedenen Ebenen, die die Fachstelle überzeugt haben. Und trotzdem, so Jürg Schneider in seiner bescheidenen Art: «Die Anerkennung gilt nicht nur mir. Ohne Verein und meinen wunderbaren Vorstand im Rücken hätte ich längst aufgegeben.» Momentan denkt er allerdings nicht daran – und zieht los, um in Bundesbern ein paar Mittepolitiker von seinen Anliegen zu überzeugen. * Mitarbeiterin Fachstelle Migration Lebensbedarf, was etwa einem Viertel der Sozialhilfekosten gemäss SKOS entspricht; Arbeiten ist den Betroffenen untersagt. Der Niederscherlier schmiedet Allianzen, um die Situation für die Betroffenen zu verbessern und auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen: Als der Kanton Bern die abgewiesenen Menschen auf dem abgeschiedenen Tessenberg in ein ehemaliges Jugendheim platzieren will, gründet Jürg Schneider zusammen mit Gleichgesinnten kurzerhand die «Aktionsgruppe Nothilfe». Er setzt sich zudem mit Lehrmeistern dafür ein, dass ihre geschätzten Lehrlinge trotz negativem Asylentscheid die Lehre abschliessen können. Ein Lehrabschluss sei die beste Entwicklungshilfe für Rückkehrende, so Schneider. Einige würden aber trotzdem hierbleiben, weil sich die Verhältnisse in ihrem Heimatland noch verschlechterten. «Mir sind eine ganze Reihe von Pflegelehrlingen bekannt, die mitten in der Coronapandemie die Pflege Knall auf Fall verlassen mussten», fasst der ehemalige Professor für Betriebswirtschaftslehre die Absurdität der Situation zusammen. Genau in dieser Absurdität sieht Pfarrer Daniel Winkler die Begründung für das Engagement von Jürg Schneider: «Empörung und Wut treiben ihn an, diese Missstände in Gesellschaft und Politik zu benennen und Abhilfe zu schaffen.» Einsatz auf mehreren Ebenen Jürg Schneider ist nicht nur pragmatisch – er ist auch zielstrebig. Also führt für ihn kein Weg an der Politik vorbei, schliesslich werden dort die Strukturen gezimmert, in denen die Menschen leben, die er begleitet. Er vernetzt sich mit Gruppen aus der Westschweiz («Das hilft den politiJürg Schneider © Adrian Hauser

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