ENSEMBLE Nr. / N° 66 - August / Août 2022

8 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /66 kurzer Blick in den Himmel, eine Ahnung davon, wie es sein wird, wenn wir einst im Reich Gottes zu Tisch sitzen werden. Solche Erfahrungen sind es, warum ich die reformatorische Grundüberzeugung teile, dass der Gottesdienst unverzichtbares Grundmerkmal der Kirche ist. «Semper reformanda» – hier geht es also nicht um die Frage, ob Gottesdienst feiern heute noch zeitgemäss ist, sondern darum, wie Gottesdienst gefeiert werden kann, so dass er seine Funktion heute erfüllt: Zeit-Raum der Begegnung mit Gott und untereinander zu sein, in dem Gottes Wort gehört, geschmeckt und erfahren wird. Wie können Gottesdienste so gestaltet werden, dass sich heute Menschen gerne einladen lassen mitzufeiern, dass Gottes Wort für sie verständlich wird, dass sie von Herzen mitbeten und mitsingen? … und ich mich doch traue, jemanden dazu einzuladen? Semper reformanda? Im Vertrauen, dass Gottesdienst Gottes Sache ist und er schenkt, was nicht gemacht werden kann: Ich bin dabei und lade Sie dazu ein! Matthias Zeindler, Leiter Bereich Theologie Warum gehe ich in den Gottesdienst? Erste Antwort: Weil ich es brauche. Ich muss nicht jeden Sonntag einen Gottesdienst besuchen, aber spätestens nach zwei Wochen merke ich, da fehlt etwas. Zweite Antwort: Weil ich im Gottesdienst manchmal Momente des Glücks erlebe wie nirgendwo sonst. Momente, wo ich einen Kloss im Hals bekomme oder Tränen in den Augen habe. Das kann eine Liedzeile sein, ein treffender Gedanke in der Predigt, und immer wieder die letzte Zeile des Unservaters: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.» Ein unglaubliches Versprechen! Aber der wichtigste Grund, warum wir Gottesdienst feiern, ist nicht, weil wir es brauchen. Oder uns verpflichtet fühlen. Oder so erzogen sind. Sondern weil Gott will, dass wir feiern. Weil Gott will, dass wir vor ihm und mit ihm zusammenkommen. Und dort sagen, was uns freut oder was uns fehlt, was wir nicht verstehen oder woran wir leiden. Und vor allem: Dass wir auf ihn hören. Gott will dies, weil er nicht ohne uns Gott sein will. Und weil er seine Schöpfung nicht ohne uns gestalten möchte. Es gibt Menschen, die ohne Gott leben können und wollen. Gott aber will nur mit uns Menschen Gott sein. Und dann noch dieser Satz des grossen Theologen Karl Barth: «Der kirchliche Gottesdienst ist das Wichtigste, Dringlichste und Herrlichste, was auf Erden überhaupt geschehen kann.» Das klingt, je nach Geschmack, recht übertrieben oder ziemlich masslos. Aber aus Sicht des christlichen Glaubens ist der Satz einfach richtig. Denn Gott hat uns Menschen zur Gemeinschaft mit ihm geschaffen. Es gibt deshalb für uns Menschen nichts Besseres und Schöneres, als unsrerseits in Gemeinschaft mit Gott zu leben. Und nirgends tun wir dies so intensiv wie im Gottesdienst, vor ihm, zusammen mit anderen Menschen. «Weil ich manchmal doch irgendwie auf einen ewigen Klang und lebendige Worte hoffe.» «Parce que j’espère quand même aussi parfois une sorte d’écho venu de l’éternité, des paroles vivantes.» © Refbejuso

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