ENSEMBLE Nr. / N° 64 - März / Mars 2022

16 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /64 Sandra Begré ist Pfarrerin, Theologin, Religionspädagogin und systemische Naturtherapeutin. Zusammen mit ihren Eseln unternimmt sie Trekkings mit Kindern und Jugendlichen. Sie will Menschen mit dem Lebendigen in sich und um sie herum in Verbindung bringen. Von Adrian Hauser Alles begann damit, dass sie zur Konfirmation einen Esel geschenkt erhielt. «Ich spürte, dass dieses Tier etwas auslöst in mir», erzählt Sandra Begré. Der Esel heisst Figaro und ist noch heute bei ihr. Doch die «Familie» ist grösser geworden: Noch drei weitere Esel sind hinzugekommen. Dies sind Aisha, Néla und der Grosseselwallach Bosco. Der Zuwachs macht Sinn. Denn als soziale Tiere können Esel nur in Herden artgerecht leben. Dabei gehen sie davon aus, dass sie mitbestimmen können. «Esel sind sehr schlaue Tiere», erklärt Sandra Begré. Das landläufige Bild des «sturen Esels» werde oft missverstanden. Ein Esel lässt sich nur nicht einfach blind herumkommandieren. Er denkt mit, wägt ab, ob ihn eine Situation in Gefahr bringen könnte oder nicht. Schätzt er etwas als Gefahr ein, reagiert er entsprechend. Gleichzeitig würden Esel aber auch das Verhalten ihres Begleiters oder ihrer Begleiterin widerspiegeln, führt Sandra Begré weiter aus. E R L E B N I S P Ä D A G O G I K M I T T I E R E N Die Urdemokratie des Esels Beziehungsarbeit Die beschriebenen Eigenschaften machen die geduldigen Tiere nahezu ideal für ihren erlebnispädagogischen Ansatz. So bietet sie beispielsweise Eseltrekkings für Jugendliche und Kinder an. Dabei geht es in die Natur – mit guter Planung und Ausrüstung, aber ohne die Sicherheit einer in jedem Detail rekognoszierten Route. Man geht los und entscheidet mit der Gruppe, wo man rastet oder übernachtet. Das ist eine Lebens- und Vertrauensschule: Es geht darum, das Grundvertrauen zu stärken, dass man auch mit ungewohnten oder unvorhergesehenen Situationen klarkommt. Denn eine Lösung gibt es immer – in jeder Lebenssituation. Die enge Beziehung zu den Tieren und der Natur ist sinnstiftend und setzt die eigenen Kräfte frei. Durch den Kontakt mit den Eseln lernen die Kinder und Jugendlichen, die Bedürfnisse anderer zu respektieren und Verantwortung zu übernehmen. Die gemeinsamen Erfahrungen in der Gruppe helfen bei der Sozialisierung – und: wenn ein Esel mal Nein sagt, muss man lernen zu improvisieren. Die Erfahrung in der Natur mit den Tieren versteht Sandra Begré auch als Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft. Bei ihren Trekkings müssen Teilnehmende und Tiere nichts leisten. Sie dürfen einfach sein, können sich selbst und die Natur erfahren. Die Esel machens vor: «Es sind soziale Individualisten mit einem starken Charakter, die in der Gemeinschaft urdemokratisch funktionieren, indem alle mitbestimmen wollen», erklärt Sandra Begré. Neben den Trekkings macht sie auf Wunsch auch Einzelbegleitungen. Beispielsweise kommen Menschen zu ihr, welchen der Kontakt mit den Tieren hilft, mit der Trauer nach einem Todesfall umzugehen. Oder da ist der junge Mann mit Autismus, der mithilfe der Begegnungen mit den Eseln seine Grenzen erweitern und mehr Vertrauen zu seinen Mitmenschen aufbauen kann. Oder da war der Junge mit ADHS, der es schaffte, mit einem der Esel eine harmonische Beziehung aufzubauen, in der sich die beiden wortlos miteinander verstanden. Inneres Feuer Sandra Begré, die früher ein Pfarramt innehatte und heute bei RefModula Religionspädagogik unterrichtet, betreibt diese Beschäftigung als Hobby. «Es ist nicht einmal selbsttragend», schmunzelt sie. Es geht auch hier nicht um Leistung. Denn was sie tut, ist Teil einer Vision, die ihr inneres Feuer antreibt: Aus der Beziehung zu Tier und Natur Sinn und Kraft schöpfen! Sandra Begré mit «Bosco». Sandra Begré avec «Bosco». © Adrian Hauser

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