ENSEMBLE Nr. / N° 59 - Juni / Juin 2021

5 ENSEMBLE 2021 /59 —– Doss i er Theres Meierhofer-Lauffer, wie wird Gastfreund- lichkeit gegenüber Menschen mit Demenz in Ihrer Pflegeinstitution gelebt? Was ist wichtig in der Begleitung von Demenzbetroffenen? Demenzgerechte Gastfreundschaft erleben Be­ troffene, wenn sie sich in ihren Wohnräumen si­ cher und geborgen und unter Menschen nicht fremd, sondern daheim fühlen können. Unser Alters- und Pflegezentrum ist ein integrativer Be­ trieb – ein «kleines Dorf im Klosterdorf». Genauso selbstverständlich, wie Menschen mit Demenz in der Gemeinde Engelberg dazugehören, sind sie auch Teil unserer Heimgemeinschaft. Menschen mit einer Demenz sind nichts Besonderes, sie ha­ ben aber besondere Bedürfnisse, an denen wir uns in ihrer Begleitung orientieren. Jeder Mensch mit Demenz braucht sein individuelles Gleich­ gewicht zwischen Orientierung und kreativem Lebensstil, zwischen Selbstbestimmung und Hil­ festellungen, zwischen Ermutigung, Anregung und Ruhe. Die Erfahrung von Bezogenheit und von In-Bezie- hung-Sein ist elementar für das Wohlbefinden einer Person mit Demenz. Was sind aus Ihrer Er- fahrung Momente der Freude und Erfüllung für Menschen mit Demenz? Der Begriff «Gastfreundlichkeit» könnte dazu verleiten, Menschen mit Demenz das grosse Pro­ gramm bieten zu wollen. Dabei ist weniger mehr, denn die Gefahr von Reizüberflutungen, die un­ ruhig machen, ist gross. Menschen mit Demenz brauchen vor allem unsere Zuwendung, aber – und das wird oft vergessen – sie möchten auch Zuwendung schenken und gebraucht werden. Wie jene Bewohnerin, die nur dann zur Ruhe kommen konnte, wenn man sich mit ihr auf das Sofa in der Ecke setzte. Mehr als einmal schlief die Pflege­ person dabei ein, was die hochbetagte Dame im­ mer sehr vergnügt und glücklich machte. Oft wird gesagt, dass Demenz die Würde eines Menschen tangiere. Menschen gehen zu einer Ster- behilfeorganisation, weil sie ein Leben mit Demenz als «würdelos» ansehen. Was meinen Sie dazu? Nicht die Demenz tangiert die Würde eines Menschen, sondern wir, indem wir seine demen­ zielle Entwicklung mit unseren Massstäben be­ werten und abwerten. Wir müssen lernen, natür­ liche Alterungsprozesse, zu denen auch eine Demenz gehört, zu akzeptieren. Durch die Beglei­ tung unserer Bewohnerinnen und Bewohner macht mir der Gedanke, selbst an einer Demenz zu erkranken, viel weniger Angst. Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Kraft Demenz­ betroffene uns anzeigen, wo sie in ihrer Würde am meisten verletzlich sind. Ihre würdevolle Be­ gleitung erfordert darum eine hohe Achtsamkeit, echtes Interesse und vor allem die Bereitschaft, das eigene Verhalten immer wieder infrage zu stellen. Wo stossen Sie in der Institution an Grenzen im Umgang mit demenzbetroffenen Menschen? Wel- ches sind Schwierigkeiten, denen Sie im Pflegeall- tag begegnen? Die grössten Herausforderungen erleben wir immer dann, wenn ein Mensch mit beginnender Demenz seine Defizite noch bewusst wahrnimmt und darauf mit Emotionen und Verhaltensweisen reagiert, die er aufgrund seiner kognitiven Ent­ wicklung nicht mehr steuern kann. Doch unser Team kann sehr professionell mit Aggressionen und Anschuldigungen umgehen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass wir bei Menschen, die Menschen mit Demenz brauchen vor allem unsere Zuwendung, aber sie möchten auch Zuwendung schenken. Les personnes atteintes de dé- mence ont avant tout besoin de notre attention, mais elles veulent aussi donner de l’attention. © Keystone / Westend61 / Jan Tepass

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