ENSEMBLE Nr. / N° 57 - April / Avril 2021

8 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /57 Gewisse Unterschiede im Amtsverständnis zeigen sich auch heute noch. Die älteren Kollegen, die sich als Respektspersonen verstehen, gehen zwar der Pensionierung entgegen, prägen aber immer noch das Pfarrbild. Die Frauen geben der Kirche ein anderes Gesicht, sie verstehen sich mehr als Teamplayerinnen, sehen ihre Aufgaben mehr im Begleiten als im Belehren. Gerade die jungen Frau­ en, die erfreulich häufig in den sozialen Medien zu sehen und zu hören sind, sorgen für eine ver­ änderte Wahrnehmung von Kirche in der Öffent­ lichkeit. Am diesjährigen Nationalfeiertag wird dies besonders stark zum Ausdruck kommen: Mit der Aktion «Helvetia predigt!» rufen Kirchenfrauen dazu auf, die Sonntagspredigt den Frauen zu über­ tragen. Bringen die Frauen auch andere Inhalte in das kirchliche Leben ein, eine andere Theologie? Eine Frau auf der Kanzel bietet natürlich keine Garan­ tie dafür, dass Erkenntnisse aus der feministischen Theologie in die Predigt einfliessen oder dass die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher in gen­ dergerechter Sprache angesprochen werden; ebenso wenig sind für eine Frau in der Kirchen­ leitung in jedem Fall Gleichstellungsthemen prio­ ritär. Aber es sind doch mehrheitlich Frauen, die diese Themen ein- und voranbringen. Bei den Veranstaltungen zum Reformations­ jubiläum wurden Zwingli, Luther, Calvin und Co. landauf, landab gefeiert. Dass auch ab und zu von Katharina von Bora, Katharina von Zimmern oder Marie Dentière die Rede war, dass wir überhaupt etwas wissen über diese Frauen und ihre Beiträge zur Reformation, verdanken wir hauptsächlich Frauen – auch wenn es schliesslich ein Mann war, der mit seinem Zwingli-Film der Fraumünster-­ Äbtissin Katharina von Zimmern und Zwinglis Ehefrau Anna Reinhardt einen würdigen Platz in unserer Wahrnehmung der Zürcher Reformation verschafft hat. Frauen als Vorbilder sind wichtig. Die Wahl von Rita Famos zur ersten EKS-Präsidentin ist für die Gleichstellung in den Kirchen ein Zeichen von unschätzbaremWert. Ihr Erfolg im zweiten Anlauf zeigt, dass es sich lohnt dranzubleiben. Auch Ref­ bejuso hat mit Judith Pörksen Roder zum ersten Mal eine Frau ins Präsidium gewählt. Ebenfalls ein Novum war 2019 die Wahl von Evelyne Borer als Nachfolgerin von Verena Enzler ins Präsidium der Solothurner Kirche, wenn auch in anderer Hin­ sicht. Bisher hatte in keiner grösseren Schweizer Kirche eine Präsidentin eine Nachfolgerin. Sobald Delegation für Genderfragen Refbejuso setzt sich bereits seit langem für die Gleichstellung ein. 1979 wurde die Frauenkom­ mission gegründet, die 2003 in die Delegation für Frauenfragen überführt wurde. Aus dieser ging 2011 die Delegation für Genderfragen her­ vor. Mit der Gründung der neuen Delegation nahm Refbejuso eine politische Strategie der Gleichstellungsförderung auf, die sich durch die Erweiterung der Frauen- bzw. Gleichstel­ lungspolitik auf Gender Mainstreaming aus­ zeichnet. Gender Mainstreaming hat zum Ziel, Frauen und Männer und ihre unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen gleicher­ massen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken – als wichtige Ergänzung zu den gleich­ stellungspolitischen Anliegen der Frauen. Ziel der Delegation für Genderfragen von Refbejuso ist es denn auch, dass nicht nur die Interessen und Fähigkeiten der Frauen, sondern auch der Männer gewinnbringend im Arbeits­ alltag und in der kirchlichen Praxis einbezogen werden. Ein Meilenstein für Refbejuso war 2014 die Verleihung des Prädikats «Familie UND Be­ ruf». Das Qualitätslabel zeichnet Institutionen mit gleichstellungs- und familienfreundlichen Anstellungs- und Arbeitsbedingungen aus und verpflichtet sie, alle drei Jahre im Rahmen eines Aktionsplans neue Ziele und Massnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erarbeiten. Seit 2014 hat Refbejuso unter anderem die Vereinbarkeit von Erwerbs­ arbeit und Angehörigenpflege gefördert, die Stellvertretungsregelungen optimiert und Kirchgemeinden für die bestehenden Möglich­ keiten, auch Mitarbeitende mit kleinen Pensen bei der Pensionskasse zu versichern, sensibili­ siert. 2020 stand die Erarbeitung eines Füh­ rungsleitbildes im Zentrum, das unter dem Motto des Visionsleitsatzes «Die Einzelnen stär­ ken – Gemeinschaft suchen» die Organisations- und Führungskultur von Refbejuso stärken soll. Darüber hinaus unterstützt Refbejuso in seinem Kirchengebiet jedes Jahr Gleichstel­ lungs- und Genderprojekte in der Aufbauphase mit einmaligen Finanzbeiträgen. www.refbejuso.ch/inhalte/genderstrategie mit der Wahl einer Frau der Pflicht Genüge getan war, wurde wieder ein Mann gewählt. Man konn­ te sozusagen zur Tagesordnung zurückkehren. In Solothurn wurde die Tagesordnung geändert. Da­ für ist es auch in allen anderen Kirchen der Schweiz an der Zeit. Die Frauen geben der Kirche ein anderes Gesicht.

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