ENSEMBLE Nr. / N° 57 - April / Avril 2021

16 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /57 Die illegale Pfarrerin Annemarie Bieri – 1931 tat das Bündner Bergdorf Furna im Prättigau einen Schritt, den zu­ vor noch keine Gemeinde Euro­ pas gewagt hatte: Es wählte eine Frau zur Pfarrerin. Greti Caprez-Roffler war 25 Jahre alt, hatte kurz zuvor ihr Theologie­ studium abgeschlossen, war Mutter geworden und brannte darauf, als Pfarrerin zu predigen und zu wirken. «Wenn unser Herr (Pfarrer) keinen anderen Fehler hat, als dass er einen Rock trägt, so behalten wir ihn», kommentierte ein Furner Bergbauer pragmatisch die Situation. Hingegen stand sie imWiderspruch zum damaligen Kirchen­ gesetz, welches Frauen höchstens als ledige Pfarrhelferinnen vorsah. Rund drei Jahre trotzte die Kirchgemeinde dem Widerstand des Kirchenrats in Chur. Die Pfarrerin predigte lebensnah, mach­ te mit ihrem Kind auf dem Rücken Seelsorgebesuche, führte Skihosen für Mädchen ein und versuchte zu beweisen, dass eine Frau und Mutter das kann. Erst 30 Jahre später sollte sie zusam­ men mit elf weiteren Theologinnen in Zürich ordiniert werden. Über 80 Jahre später macht sich die Enkelin auf die Spuren ihrer Grossmutter und erzählt die fesselnde Geschichte einer starken, unkonventionellen Frau, einer Pionierin. Ihr Leben ver­ anschaulicht exemplarisch den Kampf von Theologinnen um den Zugang zum Pfarramt in der Schweiz und gewährt lebendi­ ge Einblicke in ein wichtiges Stück Schweizer Kirchen-, Frauen- und Zeitgeschichte. Christina Caprez: Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906–1994 (Limmat Verlag 2019). Weitere Informationen: www.dieillegalepfarrerin.ch Für Kirchgemeinden gibt es eine Hörinstallation und einen Videofilm. von Frauen es in der Bibel gibt. Ich achtete aber darauf, auch andere Geschichten zu erzählen. Sophie Kauz: Ich habe mich in meiner Doktor­ arbeit Frauenräumen im Alten Testament gewid­ met und wohl jede Frau in der Bibel ausfindig gemacht. Immer wieder zeige ich auch die weib­ liche Seite von Gott auf. Wenn Gott als gebärend dargestellt wird, kann dies kein männliches Gottesbild sein. Doch auch ich versuche, in den Gottesdiensten sowohl von der weiblichen wie der männlichen Seite Gottes zu sprechen, ebenso von der Tiergestalt. Und ich achte auf eine gender­ gerechte Sprache. In den gesamtkirchlichen Diensten gibt es gerade einmal eine Co-Bereichsleiterin. Im Synodalrat sitzen vier Männer und zwei Frauen, mit Judith Pörksen Roder als Präsidentin, die im Wahlkampf ihr Frausein durchaus betont hat. Wie sieht es mit der Gleichstellung bei Refbejuso aus? Sophie Kauz: Ziel ist natürlich, dass Frauen ihr Frausein nicht betonen und als Qualität hervor­ heben müssen. Das Geschlecht sollte keine Rolle spielen. Aber so weit sind wir offenbar noch nicht. Wir müssen weiter kämpfen. Das zeigte sich auch am Frauenstreik 2019. Und bei der Präsidiumswahl bemühte man sich zwar sehr zu betonen, dass es nicht darauf ankommt, ob eine Frau oder ein Mann das Amt übernimmt. Aber diskutiert hat man es trotzdem. Klar, es wurde von Judith Pörksen Roder auch thematisiert, also bezog man Stellung. Anita Masshardt: Ich glaube auch, dass Frauen noch immer explizit ihre Perspektive einbringen müssen. Die männliche Perspektive gilt noch im­ mer als die normale Perspektive. In der Kirche ist das nicht so ausgeprägt, aber doch vorhanden. Mich hat jedoch auch gestört, wie stark bei der Präsidiumswahl das Frausein ins Zentrum gestellt wurde, und dass im Sinne der Gleichberechtigung eine Frau gewählt werden müsse. Allfällige Vor­ behalte durften fast nicht ausgesprochen werden. Das Geschlecht sollte keine Rolle spielen, man sollte auf die Inhalte schauen, die Qualifikationen, die Grundhaltung und die Ziele. Was sind bezüglich Gleichstellung die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen? Sophie Kauz: Es wäre schön, wenn Gleichbe­ rechtigung irgendwann kein Thema mehr wäre. Doch noch sind Frauen nicht gleichgestellt. Wir müssen sensibel bleiben und dürfen nicht aufhö­ ren, Ungleichheiten anzusprechen, nur weil uns gesagt wird, dass wir jetzt alles können, wenn wir nur wollen, und zufrieden sein sollen. Anita Masshardt: Auch wichtig ist, verschiede­ ne Lebensformen gelten zu lassen. Eine Frau muss nicht dem Bild der ledigen und kinderlosen Powerfrau entsprechen, die sich voll im Job enga­ giert. Es sollte sowohl Frauen wie Männern mög­ lich sein, ihr Leben so zu gestalten, wie es ihnen entspricht. «Die Männer verdrehen die Augen und schreiben mir, dass sie meinen Standpunkt schon lange verstanden hätten.» Sophie Kauz

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