ENSEMBLE Nr. / N° 56 - März / Mars 2021

24 Fokus —– ENSEMBLE 2021 /56 an einem Nachmittag zwischen 80 und 100 Men­ schen vorbei.» Corona hielt die drei Mitarbeiten­ den der Kirchlichen Gassenarbeit aber nicht davon ab, die Menschen auf der Gasse weiterhin aufzu­ suchen, im Gegenteil: «Während des Lockdowns war der öffentliche Raum wie ausgestorben. Von den Menschen, die noch draussen waren, gehör­ ten viele zu unserem Zielpublikum. Sie wurden sehr sichtbar. Gemeinsam mit zahlreichen Frei­ willigen verteilten wir ihnen Lebensmittel, bis zu 250 Einkaufstaschen pro Tag.» Alexandra war froh um diese Hilfe, denn das sogenannte «Mischeln», wie sie es nennt, also Bet­ teln, wurde immer schwieriger. «Die Leute haben kein Bargeld mehr und gehen auf Distanz.» Auch Nadine (43), die als Sexarbeiterin arbeitet, erzählt: «In meinem Gewerbe wurde es plötzlich schwierig. Wir hatten fast keine Arbeit mehr, waren von Gewalt betroffen und konnten uns nur schwer Hilfe holen. Zum Glück gibt es aber Institutionen wie die Gassenarbeit.» Schwerpunkt Beratung Im Spätsommer stellte der Verein das An­ gebot wieder um und setzte vor allem auf Beratung. Die Situation war jedoch nicht wirklich befriedigend. Die Klienten und Klientinnen mussten draussen war­ ten, denn es durften immer nur zwei Personen gleichzeitig ins Büro, was zu langen Wartezeiten führte. «Wir hatten aber Glück und erhielten finanzielle Unterstützung von der Glückskette. Da­ durch konnten wir neue Räumlichkeiten am Eigerplatz mieten. Wir haben jetzt mehr Platz für Beratungen», sagt Eva Gammenthaler. Mit Hürden hätten sie dennoch zu kämpfen. Viele Institutionen seien ausgelastet, das erschwere die Zusammenarbeit. Auch Ghada (55) schätzt das Angebot der Kirch­ lichen Gassenarbeit sehr: «Es ist für mich wie eine Reise an einen anderen Ort. Ich liebe diesen Ort und die Leute hier, es hilft mir in depressiven Momenten.» Für viele Menschen, die ihren Lebensmittel- punkt auf der Gasse haben, ist das Büro der Kirchlichen Gassenarbeit Bern ein sicherer Hafen. Doch Corona hat einiges verändert. Von Alena Lea Bucher «Als ich betrunken am Bahnhof lag, hat mich das Team der Kirchlichen Gassenarbeit aufgelesen. Sie haben mir geholfen und mir angeboten, in ihrem Büro vorbeizuschauen. Seither gehe ich regel­ mässig vorbei», erzählt Alexandra (21). Das Büro in der Speichergasse in Bern ist offen für alle und unterstützt Menschen in Not mit einem vielfältigen Angebot. Die Kirchliche Gassen­ arbeit versorgt sie mit frischer Kleidung, Lebens­ mitteln, Hygieneartikeln und sauberem Konsum­ material und bietet einen geschützten Ort für Austausch und Sozialberatung. Jeden zweiten Dienstag wird im Büro zudem fleissig geschrieben und gezeichnet für das Magazin «Mascara», in welchem Frauen von ihrem Leben auf der Gasse erzählen. Wegen Corona ist dies momentan jedoch nicht möglich, die mitwirkenden Frauen müssen von zu Hause oder anderen Orten aus kreativ sein. «Corona hat unsere Arbeit von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt, wir haben sehr turbulente Monate hinter uns», erzählt die Gassen­ arbeiterin Eva Gammenthaler. «Unsere stationären Angebote mussten wir stark einschränken, denn unser Büro war zu klein. Normalerweise kommen K I R C H L I C H E G A S S E N A R B E I T B E R N Ein Herz für Menschen in Not Der Verein Kirchliche Gassenarbeit Bern wird von zahlreichen Kirchgemeinden und Pfarreien sowie von Privatspenden finanziell getragen. Für sein Engagement während der Coronakrise wurde er mit dem Berner Sozialpreis «freiwillig. engagiert» ausgezeichnet. www.gassenarbeit-bern.ch Lebensmittel für Menschen auf der Gasse: Die Kirch­ liche Gassenarbeit Bern verteilte letz- ten Frühling bis zu 250 Einkaufs- taschen pro Tag. Des vivres pour les gens dans la rue: au printemps der- nier, la Kirchliche Gassenarbeit Bern a distribué jus- qu’à 250 sacs de courses par jour. ©David Fürst

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