ENSEMBLE Nr. / N° 54 - Dezember / Décembre 2020

5 ENSEMBLE 2020/54 —– Dossier Eine wichtige Erkenntnis unserer Begegnungsrei- se zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland EKM ist, dass neue Formen von Kirche nicht nur als temporäre Projekte betrachtet werden dürfen, sondern wesentlicher Bestandteil der Kirche sind. Wie schafft man es, dass sie bei Ressourcenknapp- heit nicht wieder abgeschafft werden? Die Erfahrungen der EKM zeigen, dass die in den Erprobungsräumen geförderten Projekte vie­ le Menschen erreichen, die zuvor keinen Kontakt zur Kirche hatten. Es gelingt ihnen offenbar, neue Möglichkeiten der Begegnung mit dem Evange­ lium und der Kirche zu schaffen. Für uns sind die­ se Erfahrungen deswegen so wichtig, weil uns durch soziologische Studien vor Augen gehalten wird, was wir auch im Alltag in den Kirchgemein­ den erleben: Viele Milieus erreichen wir als Kirche gar nicht. Deswegen sind die neuen Formen nicht nur «nice to have», sondern notwendig für unsere Zukunft als Kirche. Die Frage der Verteilung der Ressourcen ist dabei tatsächlich eine Herausfor­ derung und wird bei der Pfarrstellenzuteilung auf uns zukommen. In der Zürcher Landeskirche etwa sollen Pfarrstellenprozente für Innovationen vor­ gesehen werden. In Innovationen zu investieren, ist das eine; konfliktträchtig ist aber die Frage, wo abgebaut wird, um die notwendigen Mittel zu haben. Wir müssen ernst nehmen, dass es sowohl in den Ortsgemeinden als auch übergemeindlich Innovationen braucht. Ebenso ist eine positive Be­ zogenheit von übergemeindlichem Gemeinde­ leben zu den Ortsgemeinden anzustreben. Im Standpunkt ist von der Förderung einer inno- vationsfreundlichen Kultur die Rede. Was bedeutet innovationsfreundliche Kultur konkret? Es bedeutet, dass Freiwillige, die eine Idee um­ setzen möchten, unterstützt werden durch die Mitarbeitenden einer Kirchgemeinde. Sie sollen ihre Ideen in aller Freiheit so umsetzen können, wie sie es für richtig halten. Dies bedeutet, dass die Mitarbeitenden ein anderes Selbstverständnis entwickeln müssen – weg von einer Kultur der Amtskirche und der Ämter, hin zu «L’Eglise – c’est vous». So wird das Priestertum aller Gläubigen ge­ lebt. Freiräume für Experimente und die Förde­ rung von Projekten, die sich noch nicht in unsere vorhandenen Strukturen integrieren lassen, sind dafür eine grosse Lernchance. Sie untereinander zu vernetzen und von ihnen zu lernen, kann viel zu einer innovationsfreundlichen Kultur beitra­ gen. Dazu braucht es auch den Mut, nicht mehr Gelingendes loszulassen und Neues zu wagen, selbst wenn etwas scheitert. Erfahrungen anderer Kirchen zeigen, dass es einen Mentalitätswandel braucht: weg vom lähmenden Mantra «kleiner, ärmer, älter», hin zu einer Kultur, welche Experimente zulässt und uns neu träumen lässt, was Kirche sein könnte. Wie kann ein solcher Mentalitätswandel gelingen? Es gelingt, wenn wir den Blick auf all das rich­ ten, was sich an Altem und Neuem bewährt. Es macht ja auch Freude, etwas zu entwickeln – und uns gegenseitig zu ermutigen und auszutauschen: ©Mauro Mellone Gemeinsam mit den Menschen die Kirche gestalten: Judith Pörksen Roder am Zukunftstag 2019. Façonner l’Eglise avec les gens: Judith Pörksen Roder à la Journée de l’avenir 2019.

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