ENSEMBLE Nr. / N° 54 - Dezember / Décembre 2020

14 Dossier —– ENSEMBLE 2020/54 DIE KIRCHE ALS NETZWERK DENKEN KIRCHE UND DIGITALISIERUNG VOIR L’ÉGLISE COMME UN RÉSEAU ÉGLISE ET NUMÉRISATION Eine wichtige neue Form kirchlicher Präsenz sind kirchliche Angebote im digitalen Raum. Welche Chancen bieten sich der Kirche in der virtuellen Welt? Und wie verändert die Digitalisierung die Kirche als Institution? «Wir müssen grosszügiger werden in unse- rem Kirchenverständnis», sagt Dr. Sabrina Müller, theologische Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung an der Universität Zürich. Von Olivier Schmid Sabrina Müller, um neue Formen der Partizipation zu schaffen, will Refbejuso die digitalen Ange- bote ausbauen. Warum ist die Digitalisierung der Kirche notwendig? Wenn die Kirche den An­ spruch hat, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben, muss sie sich fragen: Wo sind die Menschen heute? Die Men­ schen sind immer mehr hyb­ ride Wesen, sie bewegen sich in der analogen wie auch in der virtuellen Welt. Beides ist Realität, Beziehung und So­ zialität. Wenn Volkskirchen in den Lebenskontexten der Menschen präsent sein wol­ len, müssen sie auch im digi­ talen Raum präsent sein. Sollen die Kirchen also mehr digitale Angebote schaffen? Es kommt darauf an, für welchen Zweck. Geht es bloss um Mitgliedergewinnung? Oder geht es der Kirche darum, mit den Menschen unterwegs zu sein in einer veränderten Gesellschaft? Die Frage der Authentizität ist sehr wichtig. Die Kirche muss mit den Leuten in einen Diskurs treten und gemeinsam mit ihnen Angebote entwickeln. Die Digitalisierung ist geprägt von dynamischen Prozessen, denen eine partizipative Logik inne­ wohnt. Ist es also der falsche Weg, bestehende analoge Angebote in den virtuellen Raum zu überführen, wie während des Lockdowns im Frühling? Ein Lockdown ist eine andere Ausgangslage. Der Aufbau einer Plattform für Einkaufshilfe und die Fortführung der Ehe- und Familienberatung im digitalen Raum waren sehr sinnvoll. Aber na­ türlich entspricht etwa das Streamen von Gottes­ diensten nicht der Logik der Digitalisierung. Was sind geeignete Formen digitaler kirchlicher Präsenz? Wichtig sind Formen des Diskurses auf Augen­ höhe. Die Evangelische Kirche in Deutschland etwa hat eine Plattform gegründet, um religiöse Influencer, die in den sozialen Medien wie auf Twitter, Instagram oder Youtube aktiv sind, mit­ einander zu vernetzen und ihnen als «Sinnfluen­ cern» mehr Reichweite zu geben. Eine Pfarrerin hat mittlerweile über 23 000 Follower. Im Hinblick auf den erneuten Lockdown im November hat sie einen Instagram-Account eröffnet, wo sich die Menschen über Tod und Trauer, Glauben und Hoff­ nung austauschen können. Macht es Sinn, über die bestehenden sozialen Medien hinaus neue digitale Plattformen zu ent- wickeln, wie etwa «Pfefferstern»? Grundsätzlich finde ich «Pfefferstern» eine gu­ te Sache. Ich wäre aber zurückhaltend, zusätzlich zu den Plattformen, die die Leute bereits nutzen, neue Plattformen aufzubauen. Denn die Frage ist, werden sie genutzt? Die Jungen nutzen Instagram oder Tiktok. Zudem kommt es auf den Diskurs an. Auf Twitter beispielsweise gibt es im Bereich digitale Kirche auch viele akademische Diskurse. Das spricht die Jungen nicht an. Wenn man über ©Ella Mettler Sabrina Müller

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