ENSEMBLE Nr. / N° 49 - Juni / Juin 2020

6 Dossier —– ENSEMBLE 2020/49 verändern sich unübersehbar und unabsehbar. Diese Veränderungen werden momentan von der Coronakrise überdeckt, werden seitens der Pfarr­ schaft und Kirchgemeinden aber seit Jahren deut­ lich wahrgenommen. Rituale aus Hollywoodfilmen Eine Studie des Berner Pfarrvereins hat darum vor einigen Jahren mittels qualitativer Fallstudien die grössten Herausforderungen am Beispiel der Be­ stattung erhoben. Diese korrespondieren über weite Strecken mit Veränderungsprozessen, die auch die anderen Kasualien betreffen und sich auch in anderen Kirchen der Schweiz und Deutsch­ lands abzeichnen. Privatisierung: Insbesondere Bestattungen werden der Öffentlichkeit zunehmend entzogen. Auf Todesanzeigen wird oft verzichtet. Der Ab­ schied am Grab findet im engsten Familienkreis statt. So erhalten Freunde und Bekannte der Ver­ storbenen keine Möglichkeit, in stimmiger Weise Abschied zu nehmen. Kasualien waren zwar schon immer eine Angelegenheit der Familie. Aber die Schrumpfung derselben zur Kleinfamilie und der dezidierte Ausschluss der Öffentlichkeit stellen eine qualitativ neue Entwicklung dar und sind aus Sicht der Seelsorge kritisch zu beurteilen. Einer privatisierten Trauer fehlt der soziale Resonanz­ raum. Ohne Einbezug der Gemeinde mutiert die Taufe zu einer Einsegnung im Familienkreis. Individualisierung: Die Gestaltung von Lebens­ übergängen wird immer stärker als Angelegenheit der Betroffenen oder der Angehörigen verstanden. Bestattungsunternehmen regen dazu an, «Bestat­ tungsanordnungen» zu erstellen, in denen Einzel­ heiten des Sterbens und der Bestattung im Voraus haarklein bestimmt werden. Diese Anordnungen in Bezug auf das eigene Sterben und die eigene Bestattung können mit den Vorstellungen der An­ gehörigen kollidieren und auch die Pfarrperson herausfordern, wenn etwa die Bestattung der Asche unter der Linde in der Hofstatt des Ver­ storbenen im Rahmen einer öffentlichen Feier erfolgen soll. Hier sind rituelle Sorgfalt und theo­ logische Reflexion vonnöten. Säkularisierung: Die fortschreitende Säkulari­ sierung wird nicht zuletzt daran deutlich, dass gewachsene und bewährte religiöse Rituale an Lebensübergängen in Vergessenheit geraten, an Gewicht verlieren und frisch-fröhlich mit neuen Ritualen aus Hollywoodfilmen oder mit natur- bzw. freireligiösen Vorstellungen und Symbolen kombiniert werden. Der Wunsch, die Trauerfeier in der Kirche mit einer See- oder Waldbestattung zu kombinieren, ist ein fast schon vertrautes Bei­ spiel rituell-religiöser Bastelei. Schwieriger wird es, wenn die Pfarrerin gebeten wird, in der Feier doch bitteschön auf Gott, Bibel, Gebet und Gesang zu verzichten. Pluralisierung: Die gesellschaftlichen Mega­ trends geschuldeten Veränderungen führen zu einer grossen Vielfalt von Schwellenritualen. Und mit abnehmender Bekanntheit und Verhaltens­ sicherheit schwindet und schwächelt die Kraft von Liturgien und Symbolen. Ökonomisierung: Der Markt wird dagegen auch im Bereich der Kasualien immer wichtiger. Die Kirchen können sich nicht mehr auf ihren Sta­ tus als altehrwürdige Institutionen verlassen. Ihnen bläst vielmehr der kalte Wind der Konkur­ renz entgegen. Neben Bestattungsunternehmen und freien Ritualbegleiterinnen und -begleitern, die sich dezidiert von kirchlichen Inhalten und Formen abgrenzen, bieten neu auch christliche und kirchennahe Theologinnen und Theologen ihre rituellen Dienstleistungen auf eigene Rech­ nung an. Die Marktsituation ist den kirchlichen Kasualien zwar nicht nur abträglich, da sie dem Gegenwartsbezug kirchlicher Praxis auch zusätz­ lichen Schub verleihen kann. Sie wird jedoch dann problematisch, wenn etwa Bestatterinnen und W E I T E R B I L D U N G S K U R S KASUALIEN: DER KONKURRENZ VORAUS SEIN Im Workshop «Bei Liebe und Tod – Kasualien am Markt» mit Regisseur Thomas Kabel beschäftigt uns die Frage, was kirchliche Hochzeiten und Abdankungen gegenüber freien Ritualangebo­ ten auszeichnet. Dabei erproben die Teilnehmenden an verschie­ denen Settings dramaturgische Abläufe. Erkundet werden die reformierten Zugänge zur Trauung und Abdankung: klassische Trauung, Ehe für alle, Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare, Scheidungsrituale und Abdankungen in verschiedenen Formen (Sarg oder Urne) und an unterschiedlichen Orten (Friedhof, Fried­ wald, auf eigenem Boden, Grabfeld für Sternenkinder). Kurs: 21. bis 25. September 2020 in Riehen Informationen und Anmeldung (bis 31. Juli 2020): www.bildungkirche.ch/kurse Einer privatisierten Trauer fehlt der soziale Resonanzraum.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc3MzQ=