ENSEMBLE Nr. / N° 47 - April / Avril 2020

5 ENSEMBLE 2020/47 —– Dossier Michael Braunschweig, die Fachstelle «Reformier- te im Dialog» bildet beim Polit-Forum Bern die Schnittstelle zwischen Kirche und Politik. Kann man religiös sein, ohne politisch zu sein? Ich kenne wohl keine Religionsgemeinschaft, die nicht für sich in Anspruch nehmen würde, einen politischen Impact zu haben. Und die meis­ ten religiösen Lehren sind verbunden mit be­ stimmten Gesellschaftsidealen. Insofern kann man wohl nicht ernsthaft religiös sein, ohne politisch zu sein. Wie politisch darf die Kirche denn sein? Alec von Graffenried: Diese umstrittene Frage würde ich eigentlich gerne der Kirche überlassen. Aber ich denke auch, dass man nicht gesellschaft­ lich aktiv sein kann, ohne politisch zu sein. Das gilt in familiären Fragen, etwa zum Thema «Ehe für alle», in wirtschaftspolitischen Fragen, bei­ spielsweise zur Konzernverantwortung, oder auch in ethischen Fragen, etwa bezüglich Lebensver­ längerung und Sterbehilfe. Wie weit sich die Kirche politisch engagieren will, ist für sie jedoch eine Gratwanderung. Thomas Göttin: Die Kirche ist Teil der Gesell­ schaft und sollte sich darum an allen gesellschaft­ lichen Debatten beteiligen. Kirchliche Positionen tragen zur Vielfalt und Diversität der Meinungen bei – auch beim Polit-Forum Bern. Judith Pörksen Roder: Ich würde nicht sagen, dass die Kirche zu allen Debatten Stellung nehmen soll. Aber wir wollen den Dialog fördern. Denn es ist wichtig, dass man auch Andersdenkenden zu­ hört. Wir möchten als Kirche unsere Verantwor­ tung übernehmen und einen Beitrag leisten für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Darum en­ gagieren sich die Reformierten Kirchen Bern-Jura- Solothurn mit der Fachstelle «Reformierte im Dialog» beim Polit-Forum Bern. Alec von Graffenried: Die Kirche bekommt ja vor allem dann Probleme, wenn sie versucht, sich aus gesellschaftspolitischen Konflikten herauszu­ halten. Das wird dann sofort als lebensfremd wahrgenommen. Die Kirche sollte das Interesse haben, möglichst nahe bei den Leuten zu sein und bei dem, was die Leute bewegt. Und das sind eben häufig politische oder gesellschaftspolitische Fragen.

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