ENSEMBLE Nr. / N° 43 - November / Novembre 2019

5 ENSEMBLE 2019/43 —– Dossier – diese müssten nämlich nicht immer überein­ stimmen. Wahrgenommen Wie nimmt die Politik die Kirche wahr? Ursula Marti, Grossrätin im Kanton Bern (SP) und Natio­ nalratskandidatin, trat in frühen Jahren aus Protest aus der katholischen Kirche aus. Später trat sie in die reformierte Kirche ein, da sie die Kirchge­ meinde in ihrem Quartier überzeugt habe. «Mal fühle ich mich der Kirche näher, mal weniger», erzählt die 53-Jährige. «Eines ist aber konstant: Die wichtige gesellschaftliche Leistung der Kirchen im Sozialen und Kulturellen habe ich immer sehr geschätzt und politisch verteidigt.» Ursula Marti nimmt die Kirche als politischen Akteur durchaus wahr: «Ich stand Seite an Seite mit einem Vertreter der Kirchen bei einer Medien­ konferenz gegen die Unternehmenssteuersenkung USR III. Für den Staat und die Kirche hätte diese Vorlage grosse finanzielle Einbussen gebracht – das wäre zulasten des sozialen Engagements ge­ gangen. Das gemeinsame Engagement von Par­ teien und Kirche habe ich geschätzt.» Bei Fragen, bei denen die Kirche aufgrund ihrer Werte eine Haltung ableiten könne, solle die Kirche Stellung beziehen, so die SP-Politikerin. Auf christliche Werte zentrieren Für Béatrice Wertli, Präsidentin der CVP Kanton Bern, bedeutet die Kirche als Institution «Heimat». Als ehemalige Pfadfinderin habe sie ein offenes und entspanntes Verhältnis zur Kirche. «Die Kirche ist eine wichtige karitative Organisation, die in der Gesellschaft viele Funktionen wahrnimmt», so die 43-jährige Beraterin für Kommunikation, Strategie und Rhetorik. Beim Tod ihrer Mutter vor drei Jahren seien sie und ihre Familie durch die Kirche sehr stark getragen worden. Béatrice Wertli schätzt das politische Engagement der Kirche im Allgemeinen, und ja, sie nehme die Stimme der Kirche in der Politik wahr – «ich bin aber auch vorbelastet, u. a. weil mein Vater Sekretär in der katholischen Kirche war». Grossrat Christoph Grupp (Grüne) beantwortet die letzte Frage etwas zögerlicher: «Ja, das kommt vor, dass ich die Stimme der Kirche in der Politik wahrnehme. Nicht allzu häufig, aber eigentlich meistens dann, wenn es angebracht ist.» Eine allgemeine Einmischung der Kirchen halte er für problematisch, aber gezielte Stellungnahmen in Bereichen, in denen zentrale christliche Werte tangiert würden, finde er durchaus sinnvoll und wünschenswert. Christoph Grupp wuchs in einer landeskirchlich geprägten Familie auf; Glauben war für ihn immer ein wichtiger Teil des Lebens – ebenso wie eine nachhaltige Entwicklung. Räume zugänglich machen Reicht das politische Engagement der Kirche aus? «Die Kirche ist eher noch zu passiv. Das meine ich insbesondere auch bezüglich ihres eigenen klima­ gerechten Handelns», sagt Christoph Grupp. Dies­ bezüglich stimmt ihm Michel Müller zu; auch er sieht Mängel im Engagement der Kirchen für das Klima. «Die Idee mit der Kirchenuhr, also, die grösste Uhr Europas in Zürich auf das symbolische ‹fünf vor zwölf› zu stellen, war zwar gut, aber mitt­ lerweile hat sich dieser Gag abgenutzt. Es wäre jetzt zum Beispiel wichtiger, der Klimajugend die kirchlichen Räume ohne komplizierte, zehnseitige Verträge zugänglich zu machen.» «Die Kirche macht Politik, weil sie sich mit den Menschen beschäftigt.» Michel Müller «Mal fühle ich mich der Kirche näher, mal weniger.» Ursula Marti ©zVg ©zVg

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