ENSEMBLE Nr. 3 - November 2015 - page 13

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ENSEMBLE 2015/3 —– Dossier
Wir gehen auf Menschen offen zu, die von weit
her aus Krieg und Unterdrückung zu uns kommen.
Wir helfen ihnen dabei, sich hier zurechtzufinden,
unsere Regeln und unsere Gesellschaft zu begrei-
fen und sich darin einzugliedern. Die Erfahrungen
zeigen uns, dass durch persönliche Begegnungen
Ängste aufseiten der Einheimischen abgebaut
werden können und sich die Asylsuchenden we-
niger schwertun mit der Integration. Kirchge-
meinden haben durch konkrete Projekte viele
praktische Erfahrungen gesammelt. Es gibt viele
Kirchgemeinden, auf deren Gebiet Asylsuchende
untergebracht sind und die sich bewundernswür-
dig für diese Menschen einsetzen.
Es ist viel von Rechten die Rede. Haben Migrantinnen
und Migranten auch Pflichten?
Natürlich. Das Recht auf Sicherung der Exis-
tenz muss mit Pflichten verbunden werden. Denn
jeder einzelne muss zu seiner Existenzsicherung
beitragen, so viel er kann. Und jeder Einzelne muss
einen persönlichen Beitrag für eine solidarische
Gesellschaft leisten und nicht nur von ihr profi-
tieren.
Was kann diese Charta bewirken?
In der Medienmitteilung sagt die Gruppe, dass
sich Theologinnen und Theologen in der Schweiz
für Grundrechte für alle Menschen einsetzen. Ver-
treter der katholischen und der reformierten Kir-
chen, die in der Migrationsarbeit tätig sind, plä-
dieren dafür, dass Europa – und in Europa auch
die Schweiz – Grenzen öffnet statt Mauern errich-
tet und Migrationswege versperrt. Auf dem Mit-
telmeer und auf anderen Fluchtrouten, in den
armen Ländern und Flüchtlingslagern dieser Welt
findet eine alltägliche Katastrophe statt. Aus mei-
ner Sicht versucht die Gruppe, eine Diskussion
über das Thema Migration allgemein anzustossen.
Durch die gegenwärtigen grossen Ströme von
Flüchtlingen ist die Charta sehr aktuell geworden.
Die utopischen oder visionären Ansätze der Char-
ta haben auch eine biblische Tradition. Denken
wir doch an die Aufforderung an die Juden, weg-
zugehen von den Fleischtöpfen Ägyptens und der
Unfreiheit, um in Freiheit und Würde leben zu
können in einem fernen gelobten Land.
Welches sind in Ihren Augen die dringlichsten Pro-
bleme im Schweizer Asylwesen?
Es braucht dringend kürzere Entscheidungs-
wege bis zu einem definitiven Entscheid für Asyl-
suchende. Es kann nicht sein, dass viele Menschen
bis zu fünf Jahre auf diesen Entscheid warten müs-
sen. Als Zweites müssen Menschen, die als Flücht-
linge oder vorläufig Aufgenommene bei uns blei-
ben können, eine private Unterkunft finden und
möglichst schnell mit Sprachkursen und weiteren
Angeboten integriert werden. Sie wollen ihre
Fähigkeiten einsetzen können und auch arbeiten.
Gegenwärtig sind ebenfalls die notwendigen
Unterkünfte für Asylsuchende im Kanton Bern
eine wichtige Aufgabe. Wenn dem Kanton Bern
pro Woche 150 neue Asylsuchende zugewiesen
werden, müssen wir alle dabei helfen, dass diese
auch untergebracht werden können.
Was muss sich Ihrer Meinung nach im Asylwesen än-
dern, um diese Probleme in den Griff zu bekommen?
Mit der Asylgesetzesrevision, die im September
in den Räten behandelt wurde, werden die Fristen
Pia Grossholz-
Fahrni
© Michael Stahl
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