ENSEMBLE Nr. / N° 68 - Dezember / Décembre 2022

10 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /68 Interview mit Susanne Kocher, Psychologin FSP, Psychotherapeutin FPI, Integrative Paartherapeutin GIPP, Beraterin bei der Beratungsstelle für Ehe, Partnerschaft und Familie in Langnau und Psychotherapeutin in Bern. Von Gabriella Weber* In welchen Bereichen haben Sie als Beraterin der Beratungsstelle für Ehe, Partnerschaft und Familie in Langnau Auswirkungen der Krisen wahrgenommen? Der Krieg in der Ukraine und Fragen um die Zukunft in Europa sind bisher kaum Thema gewesen. Sie wirken eher als verunsichernde und belastende Faktoren im Hintergrund. Die Folgen der Pandemie sind jedoch bis heute spürbar und haben viele Klientinnen und Klienten sehr belastet: Einige erlebten massive Konflikte im Zusammenhang mit der Impf- und Schutzfrage – sei es, persönlich einen stimmigen Umgang zu finden, oder auch als Konflikte in der Partnerschaft, im Familien- und Freundeskreis, wo es vermehrt zu Streit und teilweise sogar zu Kontaktabbrüchen gekommen ist. Die Zeit des Lockdowns hat ganz Unterschiedliches bewirkt: Viele Alleinstehende, Alleinerziehende und alte Menschen haben sehr unter der Isolation gelitten, und für einige Familien war die Zeit der Schulschliessung plus Heimarbeit sehr belastend. Nicht wenigen Paaren und Familien hat diese Zeit der grösseren Nähe auch richtig gutgetan, sie genossen das Zusammensein, die häufigeren Gespräche, einige begannen z. B. wieder miteinander zu spielen. Was bewirken äussere Umbrüche und Veränderungen bei den Menschen? Was für Auswirkungen hat dies auf die Beziehungen in Partnerschaften und Familien? Darauf kann ich nur allgemein antworten, denn wie ein bestimmtes Ereignis auf einen Menschen oder ein soziales System wirkt, ist sehr unterschiedlich. Bei Menschen, die sowieso schon mit Ängsten zu kämpfen haben, wirken Veränderungen und Umbrüche viel bedrohlicher und lösen wiederum neue Ängste aus. Läuft jemand bereits «auf dem Zahnfleisch», dann kann auch ein eher alltägliches Ereignis zum Zusammenbruch führen, während ein stabiles System oder ein Mensch mit Reserven und Unterstützung Umbrüche gut und ohne Schaden verarbeiten kann. Veränderungen sind nie nur negativ und müssen nicht zwangsläufig zu einer Krise führen. Sie sind vielmehr notwendig für persönliches Wachstum. Mit was für Situationen sind Sie in Ihrem Beratungsalltag konfrontiert? Haben sich die Beratungsthemen oder die Art der Konflikte in den letzten Jahren verändert? Die «beziehungstypischen» Problembereiche wie das Ausbalancieren von Nähe und Distanz, der Umgang mit verschiedenen Bedürfnissen, der Aufbau einer «Herzenssprache» und einer guten Konfliktkultur, das Stärken der Selbstwahrnehmung und der Empathie usw. sind dieselben geblieben. Was sich in meinen Augen zunehmend als Herausforderung entpuppt, sind die sogenannten sozialen Medien. Kaum ein Paar hat keine Konflikte bezüglich Umgang mit Handy oder Computer: Im Allgemeinen wird der Suchtcharakter dieser Medien unterschätzt, der Konsum überbordet – immer auf Kosten der Paar- und Familienzeit –, und P A A R B E Z I E H U N G E N , F A M I L I E N , K R I S E N Folgen heutiger Krisen Susanne Kocher © zVg

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