ENSEMBLE Nr. / N° 65 - Mai / Mai 2022

4 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /65 CHRISTUS IST DAS HAUPT DER KIRCHE LEITUNG DER KIRCHE NACH REFORMIERTEM VERSTÄNDNIS CHRIST EST LE CHEF DE L’ÉGLISE DIRECTION D’ÉGLISE DANS LE PROTESTANTISME Kirche existiert auf verschiedenen Ebenen – als Kirchgemeinde, als Landeskirche, daneben auf nationaler, kontinentaler und globaler Ebene. Auf jeder dieser Ebenen wird Kirche geleitet – mit Verbindungen dazwischen. Nicht immer gleich, aber gemäss denselben Grundsätzen. Von Matthias Zeindler* Wir beginnen paradox: mit einem Satz, der nichts darüber sagt, wie man die Kirche leiten soll. Sondern dass die Kirche sich gar nicht selbst leitet, sondern geleitet «wird». Dieser Satz ist nicht nur numerisch, sondern auch sachlich der erste, der über jede Leitung in der Kirche zu sagen ist. Er ist derjenige Satz, an dem alles, was noch kommt, hängt. Wo man ihn vergisst, da hat man das Thema «geistliche Leitung» verlassen. Und man wird das Thema erst wieder finden, wenn man sich diesen Satz wieder gesagt sein lässt: dass nicht «wir», sondern Christus seine Kirche leitet. Im Neuen Testament wird dies unter anderem mit dem Bild von Christus als dem Haupt und der Kirche als seinem Leib ausgedrückt. So im Epheserbrief: Gott hat Christus «als alles überragendes Haupt der Kirche gegeben; sie ist sein Leib» (Eph. 1,22f.). Dieses Bild hat das Nachdenken der frühen Reformierten über die Kirche und deren Leitung bestimmt. Als Beispiel sei Heinrich Bullinger genannt, der Nachfolger Zwinglis in Zürich, der im Zweiten Helvetischen Bekenntnis festhält: «Der Leib hat nur ein einziges Haupt.» Um dann fortzufahren: «Deshalb kann die Kirche kein anderes Haupt haben als Christus. […] Und sie kann durch keinen anderen Geist regiert werden als durch Christi Geist.» Ein weiteres gewichtiges Stichwort: Der «Heilige Geist», der «Geist Christi». In seinem Geist ist der auferstandene Christus in der Gemeinde und in der Welt gegenwärtig. Durch seinen Geist führt er die Glaubenden zu einer Gemeinschaft zusammen, tröstet, belebt und animiert er sie. Durch den Geist leitet er sie auch. Wie es ohne Christus keine Kirche gibt, so auch nicht ohne Heiligen Geist. Geistliche Leitung bedeutet nicht Leitung durch einen Stand von Geistlichen. Sie bedeutet auch nicht in erster Linie Leitung durch so etwas wie «geistliche» Prinzipien, vielleicht im Unterschied zu Führungstheorien aus der Managementlehre. Dass es Christus ist, der die Kirche durch seinen Geist leitet, schliesst nicht aus, dass das Leiten der Kirche eine menschliche Aufgabe ist. Im Gegenteil, es schliesst das gerade ein. Kirche bei ihrem Auftrag erhalten Neben der geistlichen Leitung gibt es in der Kirche keine andere Leitung. Es gibt nicht eine geistliche Leitung und daneben allenfalls noch eine andere, eine nichtgeistliche Leitung. Doch was «bewirkt» Christus in der Kirche? Er erhält die Kirche bei ihrem Auftrag. Er sorgt dafür, dass diese Kirche ihren Auftrag nicht aus den Augen verliert. Am Ende des Matthäusevangeliums formuliert der auferstandene Christus diesen Auftrag so: «Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe» (Mt. 28,19-20). Und sehr nahe an diesen Versen heisst es in der Verfassung der reformierten Berner Landeskirche: «Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Bern hat von ihrem Herrn den Auftrag, allem Volk in Kirche und Welt die Frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen» (Art. 2 Abs. 1). Die Kirche gibt es, weil das Evangelium von Gottes freier Gnade in der Welt laut werden soll. Nur dafür hat Christus die Kirche ins Leben gerufen. * Leiter Theologie

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