ENSEMBLE Nr. / N° 63 - Januar / Janvier 2022

6 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /63 richtige Hotel zu finden. In Arbeitspausen sitzen wir vor dem Handy und checken die neusten Infos und Nachrichten. Selbststigmatisierung Viele von uns erleben die Welt als hektisch, aber sie können mithalten. Sensible, vulnerable und hilfsbedürftige Menschen sind mit Tempo und Leistungsansprüchen überfordert. Einige von ihnen werden krank. Als Sozialarbeiterin habe ich mit psychisch vulnerablen Menschen gearbeitet. Oft habe ich dabei erlebt, dass sie ihre Krankheit als eigenes Verschulden sahen. Sie kritisierten ihr Versagen, oder noch schlimmer: Sie hassten sich, weil sie die gesellschaftlichen Anforderungen nicht erfüllen konnten. Doch eigentlich haben sie verinnerlicht, was sie von aussen als Schuldzuweisung erlebt haben. Möglich, dass dieses Muster sich tief in die DNA unseres Menschseins eingenistet hat. Denn bereits in den Psalmen des Alten Testaments gibt es diese Schuldzuweisungen von aussen, die dazu führen, dass sich Menschen dafür selber stigmatisieren. Eindrücklich finde ich, dass sich Jesus in den Heilungsgeschichten des Neuen Testaments gegen diese Schuldzuweisungen stellt und Menschen nicht nur äusserlich heilt, sondern sie auch von ihrem inneren Leiden befreit. Unterbrechen «Unterbrechung ist die kürzeste Form von Religion», hat der Theologe Johann Baptist Metz formuliert. Unterbrechung gibt uns die Möglichkeit, innezuhalten und uns zu erholen von diesem ständigen Angetriebensein. Sie kann Gewohntes und Eingeschliffenes aufbrechen und uns für das öffnen, was nicht machbar ist und über uns hinausweist. Kürzlich hat mir eine Freundin erzählt, dass sie vor jeder neuen Tätigkeit im Alltag das Gebet des russischen Pilgers spreche: «Jesus Christus, erbarme dich meiner.» Es helfe ihr, einen Augenblick innezuhalten und empfänglich zu werden für ihre Umwelt. So werde sie auch wach für die Nöte anderer. Bruno Ein Nachbar und die Haushälterin waren dabei, als Bruno starb. An der Grebt erzählen mir beide, dass er in den letzten Wochen kaum mehr depressiv war und sich auf das nahende Ende freute. Irgendwann spielt es wohl keine Rolle mehr, wie ungleich unsere Lebensmöglichkeiten waren. Wichtig bleibt aber, dass wir in Würde leben und sterben können. Bruno hat am Schluss seines Lebens das erfahren, was ihm zu Beginn gefehlt hat: Geborgenheit. Anderen helfen, sich selber stärken Im Kurs «ensa – Erste Hilfe für psychische Gesundheit» werden Grundlagen zu den wichtigsten psychischen Erkrankungen vermittelt. Die Teilnehmenden werden befähigt, psychische Probleme frühzeitig zu erkennen, den Betroffenen die notwendige Unterstützung zu geben und professionelle Hilfe zu vermitteln. Auskünfte unter: ensa Erste-Hilfe-Kurs – Sozial-Diakonie (www.diakonierefbejuso.ch) «Unterbrechung ist die kürzeste Form von Religion.» «L’interruption est la définition la plus courte de la religion.» © KEYSTONE / PICTURE ALLIANCE / Markus Scholz

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