ENSEMBLE Nr. / N° 63 - Januar / Janvier 2022

12 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /63 BETTINA BEER Eine Pfarrerin erzählt von ihrer Depression Die Freiburger Pfarrerin Bettina Beer hat eine Depression durchlebt. Sie hat diese Prüfung in Worte gefasst und das Buch «Un océan de tristesse» («Ein Meer von Traurigkeit») verfasst. Ein persönlicher Bericht, der sich mit einer Krankheit auseinandersetzt, die in der Gesellschaft und manchmal auch in der Kirche immer noch tabuisiert wird. Von Nathalie Ogi Was hat Sie dazu bewegt, die Geschichte Ihrer Depression in die Öffentlichkeit zu tragen? Als sich die Krankheit bemerkbar machte, habe ich ziemlich intensiv damit begonnen, ein Tagebuch zu führen. Damals hatte ich nicht die Absicht, es zu veröffentlichen. Ich beobachtete die verschiedenen Reaktionen meines Umfelds auf die Krankheit. Es ist nicht leicht, die Krankheit ist immer noch ein Tabu. Oft wissen die Leute nicht, wie sie sich verhalten sollen. Das habe ich in meinem Umfeld festgestellt, bei Menschen, die durchaus fähig sind, jemandem zur Seite zu stehen, der D unter einer körperlichen Erkrankung leidet. Mein Wunsch war es, eine Brücke zu bauen zum Erleben einer unter einer Depression leidenden Person. Ich wollte damit erreichen, dass die Krankheit weniger Angst macht, und aufzeigen, dass man aus ihr herausfinden kann. Sie sprechen von der Depression als einer Krankheit der Seele – können Sie das ausführen? Für mich ist die Depression eine echte Krankheit. Man kann versuchen, sie mit Medikamenten zu behandeln, mit einer medizinischen Behandlung, mit einer Psychotherapie. Sie so zu verstehen, kann auch dazu beitragen, die Tabus, die sich um psychische Erkrankungen ranken, abzubauen. Es ist sicherlich ein Krankheitsbild, das vom Umfeld nicht einfach zu erfassen ist, denn ihr Vorhandensein kann nicht durch ein MRT oder ein Blutbild belegt werden, wie das etwa bei Tumorerkrankungen der Fall ist. Man weiss auch, dass eine chemische, neurologische Komponente hineinspielt. Es ist eben mehr als eine Krankheit der Seele. Es gibt Menschen, bei denen sie sich mit körperlichen Symptomen äussert. Das, was für mich am schmerzhaftesten war, betraf aber eindeutig die Seele, das Herz. Depression ist ein sehr starkes inneres Leiden. Haben Sie es gewagt, in Ihrem Umfeld und gegenüber Kollegen über Ihr Leiden zu sprechen? In meinem näheren Umfeld habe ich einen kleinen Kreis von Personen ziemlich rasch informiert, darunter meinen Mann, Angehörige und meine direkte Vorgesetzte bei der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS). Ich hatte Glück und stiess auf eine grosse Offenheit und Unterstützung. Am schwierigsten war es, mit meinen Eltern und mit meinen Kindern darüber zu sprechen. Sie sind Pfarrerin, wie hat Ihnen Ihr Glaube bei dieser Prüfung geholfen? Ich würde es so sagen: Der Glaube war eine Hilfe unter anderen. Nicht er hat mich gerettet. Gerne hätte ich gewollt, dass es so wäre. Wenn eine Krankheit auftritt, kann der Glaube und können biblische Texte eine Hilfe sein. Als die Selbstmordgedanken sehr stark wurden, habe ich entdeckt, dass mein Glaube eher ein Verstärker als ein Schutz war. Ich glaube, dass der Tod mich nicht von Gott trennen wird. Keine Angst vor dem Tod zu haben, wenn man selbstmordgefährdet ist, baut die Hemmschwelle eher ab als auf. Sie zögern nicht, Ihre Selbstmordgedanken anzusprechen. Ich hatte keine Angst, darüber zu sprechen. Viele glauben, man würde den Wunsch nur verschärfen, wenn man einen Menschen, dem es

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