ENSEMBLE Nr. / N° 58 - Mai / Mai 2021

6 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /58 Judith Pörksen Roder: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es zwar schwierig ist, Leute für ein kirchliches Amt zu gewinnen, das eine länger­ fristige Verpflichtung bedeutet. Aber für das Food­ save-Bankett oder die Aktion «Beim Namen nen­ nen» der «offenen kirche bern» zum Beispiel ist die Bereitschaft gross sich zu engagieren. Und als meine Kirchgemeinde einmal verschiedene Leute aus dem Quartier in die Pfarrwahl miteinbezog, empfanden sie dies als grosse Ehre. Ich bin über­ zeugt: Wenn wir auf die Leute zugehen, erfahren wir Offenheit. Iwan Schulthess: Voraussetzung ist, dass man miteinander ins Gespräch kommt. Als Pfarrer sprach ich einmal einen Vater an, der immer etwas abseitsstand. Er sagte mir, dass er früher Jazz­ gitarre gespielt habe, was in der Kirche ja nicht erwünscht sei. Ein anderer Mann kam hinzu und sagte, er habe früher Saxofon gespielt. Ich ermun­ terte sie, ihre Instrumente hervorzuholen und im Gottesdienst aufzutreten. Ein anderes Mal ent­ stand auf Initiative eines Ehepaars eine Theater­ gruppe, inklusive Regisseur und Autorin. Als Pfarrer gehst du dabei natürlich ein Risiko ein: Einerseits willst du einen guten Gottesdienst ma­ chen, andererseits willst du den Menschen Raum geben und Vertrauen schenken. Was, wenn der Gottesdienst schlecht wird? Dieses Risiko müssen wir eingehen. Judith Pörksen Roder: Ich denke, dass es für die Amtsträgerinnen und Amtsträger auf die Dauer viel befriedigender ist, wenn sie weniger im Vor­ dergrund stehen und mehr als Coach wirken. Es ist eine Riesenchance für sie, wenn sie nicht allein für das Gemeindeleben verantwortlich sind, son­ dern von der Kirchgemeinde getragen werden. Die Verantwortung aller für die Kirche, das Pries- tertum aller Gläubigen, geht mit einer Pluralisie- rung von Meinungen einher. Was zeichnet ein «reformiertes Profil in pluraler Gestalt» aus? Judith Pörksen Roder: Ein vernunftorientierter Glaube, eigenständiges Denken und Dialogfähig­ keit. Gemeinsam ringen wir im Gespräch um die Wahrheit. Getragen durch unser tiefes Vertrauen in Gott, sind wir offen für das Gespräch mit Men­ schen, die anders glauben und denken. Wir wollen in unserer Kirche Raum bieten für Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, Generationen und Kulturen. Wo liegen die Grenzen einer «reformierten Plura- lität»? Judith Pörksen Roder: Dort, wo man einander den christlichen Glauben abspricht und einander moralisch verurteilt. Iwan Schulthess: Ich vertraue auf die Wirkung des Evangeliums. Die Kirche ist nicht einfach irgendeine Bewegung ist, sondern eine kirchliche Bewegung, die vom Geist des Evangeliums getra­ gen ist. Natürlich gibt es theologische Differenzen. Doch in der Landeskirche zu sein, bedeutet offen zu sein und Ja zu sagen zum Pluralismus. Das laufende Legislaturprogramm dauert noch bis Ende 2023. Wo möchte Refbejuso dann auf dem Weg von einer Ämterkirche zu einer Beteiligungs- kirche stehen? Judith Pörksen Roder: Meine Hoffnung ist, dass bis Ende 2023 rund 30 innovative Projekte entstan­ den sind. Doch ein Kulturwandel braucht Zeit. Darum möchte der Synodalrat die fünf Ziele in der nächsten Legislaturperiode weiterverfolgen. Iwan Schulthess: Wir wollen die Legislaturziele auf einen längeren Weg mitnehmen, um Schätze auszuheben, die uns vielleicht in den Acker gelegt wurden. Wenn wir Ende 2023 angefangen haben, am Paradigmenwechsel zu arbeiten, wäre ich schon zufrieden. «Es ist eine Riesen- chance für die Ämter, wenn sie nicht allein für das Gemeindeleben verantwortlich sind.» Judith Pörksen Roder Judith Pörksen Roder: «Ich bin überzeugt: Wenn wir auf die Leute zugehen, erfahren wir Offenheit.» Judith Pörksen Roder: «Je suis convaincue que si nous allons vers les gens, ils se montrent ouverts.» © Mauro Mellone

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