ENSEMBLE Nr. / N° 53 - November / Novembre 2020

4 Dossier —– ENSEMBLE 2020/53 OFFEN GEGENÜBER ALLEN RELIGIONEN RELIGIONSPOLITIK IM WANDEL OUVERTURE RELIGIEUSE SANS FRONTIÈRE LES TEMPS CHANGENT David Leutwyler ist seit Anfang 2020 Be- auftragter für kirchliche und religiöse Ange- legenheiten des Kantons Bern. Im Zuge des neuen Landeskirchengesetzes ist für ihn auch die Finanzierung von Leistungen von privatrechtlich organisierten Religions- gemeinschaften denkbar. Von Zeadin Mustafi und Mathias Tanner David Leutwyler, was sind Ihre Aufgaben und Ziele? Das neue Landeskirchengesetz und der Auftrag des Regierungsrates zur Erarbeitung eines reli- gionspolitischen Monitorings geben die Aufgaben meines Amtes vor: die politischen Geschäfte in kirchlichen und religiösen Angelegenheiten vor- bereiten; die kantonalen Amtsstellen in Religions- fragen unterstützen; die öffentlich-rechtlich an- erkannten Religionsgemeinschaften stärken; die Leistungen der privatrechtlich organisierten Re- ligionsgemeinschaften erfassen und abklären, wo eine Gleichbehandlung mit den Landeskirchen angezeigt ist; und die Religionspolitik so gestal- ten, dass sie auch von areligiösen und konfessions- losen Menschen mitgetragen wird. Letztlich geht es darum, für alle faire staatliche Rahmenbedin- gungen zu schaffen. Um diese Aufgaben möglichst gut wahrnehmen zu können, ist es für mich wich- tig, die Religionsgemeinschaften des Kantons Bern besser kennenzulernen. Die Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern hat angekündigt, zu diesem Zweck ein reli- gionspolitisches Monitoring durchzuführen. Was ist damit gemeint? Gute Politik setzt voraus, dass die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger bekannt sind. Ein Moni- toring liefert die Grundlage, um daraus Mass­ nahmen abzuleiten, wie die Religionspolitik des Kantons Bern in Zukunft gestaltet werden soll. Erste Massnahmen sind die Kontaktaufnahme und die Erarbeitung einer digitalen Landkarte der Religionen, welche die Vielfalt der existierenden Religionsgemeinschaften sichtbar machen soll. Ziel ist auch, die Religionsgemeinschaften und die Leistungen zu beschreiben, die sie im Interes- se der gesamten Gesellschaft erbringen. Damit hängt die Prüfung von Ungleichbehandlungen zusammen, die in der «Religionspolitischen Aus- legeordnung für den Kanton Bern» von 2017 kriti- siert wurden. Wollen Sie mit allen privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften ein Netzwerk aufbauen? Auch mit fundamentalistischen Religionsgemein- schaften wie der Scientology-Kirche oder dem Islamischen Zentralrat Schweiz? Soweit sich die Religionsgemeinschaften im Rahmen der Rechtsordnung und der Verfassung bewegen, möchte ich Gesprächsbereitschaft sig- nalisieren. Austausch und gegenseitiges Kennen- lernen wirken der Entwicklung von Parallelgesell- schaften entgegen und tragen damit zur Wahrung des sozialen Friedens bei. Viele muslimische Vereine wissen nicht, was der Staat mit dem religionspolitischen Monitoring be- zweckt. Sie denken, sie stünden unter General­ verdacht und sollten überwacht werden. Wie wollen Sie aufklären und Vertrauen schaffen? Das religionspolitische Monitoring soll zu mehr Sichtbarkeit und einem besseren ge- genseitigen Verständnis beitragen. Aus meinen Erfahrungen in der interreligiösen Zusammen- arbeit habe ich gelernt, dass persönliche Begeg- nungen unverzichtbar sind, um Vertrauen zu schaffen. In einigen Kantonen gibt es bereits runde Tische der Religionen, an einigen ist auch der Staat be- teiligt. Wäre ein solches Gremium auch im Kanton Bern möglich?

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