ENSEMBLE Nr. / N° 39 - Juni / juin 2019

18 Fokus —– ENSEMBLE 2019/39 «IN FRAGEN LEBEN » RAINER OBERTHÜR keine Fragen mehr stellen könnten? Was würden wir verlieren? Ohne Fragen keine Neugier, keine Begeiste­ rung, keine Beziehung, keine Entwicklung, kein Interesse und kein Dialog. Ohne Fragen würde sich alles ändern, denn Fragen macht unser Mensch­ sein aus. Das berührt mein allererstes Leitmotiv: Die grossen Fragen stellt der Mensch schon als Kind! Kinder leben in Fragen: «Wer fragt, weiss schon etwas!», sagte uns ein Kind. Kinder sind zugleich Realisten, welche die Welt konkret be­ greifen wollen, wie auch Mystiker, Philosophen und Theologen, die das Geheimnis dahinter er­ gründen wollen. Wie kommen Kinder und Jugendliche zu ihren Fragen, und wo suchen sie Antworten? Ich gehe bei jedemMenschen von einem hohen Fragepotenzial aus, doch junge Menschen brau­ chen Hilfe und Begleitung, Ermutigung und Unter­ stützung sowie einen Rahmen und eine Struktur, damit sie ihre Fragen stellen. Kinder sind in der Tat «kon-genial». Im Nachahmen kommen sie zum Eigenen. Ein Beispiel: Der paradoxe Satz aus dem Buch der Philosophen «Gott ist eine unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Um­ fang nirgends ist» löste in einem Kind den Ge­ danken aus: «Gott ist eine unendliche Zahl, die jeder kennt und doch noch niemand kennen­ gelernt hat. So ist nur Gott.» Was ist dabei die Aufgabe der Religionspädagogik? Kinder brauchen uns als Fragende und sie fragen nach unseren Antworten. Wenn wir au­ thentisch, «frag-würdig» glaubwürdig antworten, klar Position beziehen und zugleich die Frage zu­ rückgeben, entsteht ein Prozess des Fragens, Ant­ wortens und Weiterfragens. Was gibt Ihnen die Kraft und Inspiration zu Ihren Ideen? Ich gehe dorthin, wohin meine Neugier, mein Fragen, mein Staunen und meine Begeisterung mich führen. Die Ideen zu meinen Veröffent­ lichungen fallen mir meistens vor die Füsse. Manchmal sind sie lange vorher in mir gewachsen, manchmal werden sie durch Anfragen ausgelöst. Dann muss ich sie «nur noch» ergreifen und be­ harrlich daran bleiben. Die Werke sind so etwas Rainer Oberthür ist Dozent und stellver- tretender Leiter des Katechetischen Instituts in Aachen sowie Autor. Anfang April ge- staltete er als Referent die ökumenische reli- gionspädagogische Fachtagung «Theolo- gisieren mit Kindern und Jugendlichen: Neue Themen – neue Zugänge – neue Materialien» im Haus der Kirche in Bern. Von Patrick von Siebenthal* Herr Oberthür, an der religions- pädagogischen Tagung in Bern kam mehr als einmal der Satz vor: «Alle Dinge, die wir sehen, können wir doppelt anschauen: als Tatsache und als Geheimnis. Aus dem Wirklichen erwächst das Erstaunliche.» Ist dies das Motto Ihres Schaffens? Tatsächlich ist es ein pro­ grammatischer Satz für mich. Ursprünglich als Leitgedanke im «Buch der Symbole» entstan­ den, habe ich ihn im Religions­ unterricht als hilfreiche Sprach­ hilfe erlebt. Es geht um die Unterscheidung der Wahrneh­ mung: zum einen die Wirklichkeit, wie sie uns begegnet, zum anderen die Hintergründigkeit, das «Mehr», das Geheimnisvolle. Wir brauchen beides: Ohne Realität verkommen Religion und Glaube zur erfahrungsleeren Geheimniskrämerei, ohne Tiefgründigkeit verkommt das Faktische zur Gleichgültigkeit und Bedeutungslosigkeit. Aber es gibt auch weitere Leitgedanken, zum Beispiel: Naturwissenschaft und Glaube kommen im Stau­ nen zusammen. An der Tagung sind Sie mit einem Gedankenspiel eingestiegen: Wie wäre es, wenn wir eines Tages Konzert-Lesung in Bern «Was glaubst du? Lieder und Briefe zwischen Himmel und Erde», Konzert-Lesung mit Carolin und Andreas Obieglo («Carolin No») und Rainer Oberthür, Freitag, 21. Juni 2019, 20 Uhr, Kirche St. Peter und Paul, Krypta, Bern. Mehr Informationen: www.was-glaubst-du.ch Rainer Oberthür © zVg

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