ENSEMBLE Nr. / N° 35 - Januar / Janvier 2019

16 Dossier —– ENSEMBLE 2019/35 Felix Müller arbeitet als Pfarrer für die Kirche und kann diese Arbeitgeberin mit anderen vergleichen. Als Jurist machte er früher in Militär und Verwaltung Karriere. Von Gerlind Martin Jurist mit Anwaltspatent, Offizier mit Auslander­ fahrung, gut verheiratet, Aussicht auf ein Exeku­ tivmandat: Es sieht nach einem «guten Start in eine bürgerliche Karriere» aus, erinnert sich Felix Müller an die Zeit nach dem Lizentiat in den 90er- Jahren. Doch das stimmt nur halbwegs. Das An­ waltspatent macht er nämlich nicht. Dafür Karrie­ re beim Militär, wird Offizier und Hauptmann. 1994/95 arbeitet er als Militärbeobachter im Nahen Osten. «Unverdient» privilegiert, mit Diplomaten­ pass und hohem Lohn. In Jerusalem, auf dem Golan, in Gaza und im Südlibanon habe er «fürs Leben gelernt, Tiefgreifendes erlebt und auf­ rüttelnde Erfahrungen gemacht», erzählt er. Ein Denkprozess kommt in Gang, Felix Müller fragt nach dem Was und Wozu seines Tuns. Mehr und mehr beschäftigen ihn religiöse Fragen. Und er erkennt: Nicht alles, was er tun könnte, ist auch das, was er tun sollte. Gleichzeitig hat er interes­ sante Aufgaben, verdient sehr gut. Als Gerichts­ schreiber am Obergericht in Solothurn, als Stabs­ jurist und Sektionschef bei der Bundespolizei. In einer Führungsausbildung entdeckt er «Fähig­ keiten und Neigungen, die ich nicht unbedingt in der Juristerei entfalten kann». Er will «mehr zu tun haben mit Menschen». Sinnvoll und feinmaschig Felix Müller macht Nägel mit Köpfen. Nach Ge­ sprächen mit drei Pfarrern über Berufsmotivation sowie Diskussionen mit seiner Frau entscheidet sich der 39-Jährige für ein zweites Vollstudium, Theologie an der Universität Bern. 2003 beginnt er mit Hebräisch und Griechisch, Latein hat er als B-Maturand aus Solothurn bereits im Sack. Während des Studiums arbeitet er fünfzig Prozent als Stabsjurist und Leiter der Fachstelle Extremis­ mus. 2009 absolviert er das Lernvikariat in Mün­ singen. Seit 2010 ist er Pfarrer in Reichenbach, aktuell zu hundert Prozent. Mit «grosser Freude und hoher Motivation» tue er etwas Sinnvolles. Im Dreierteam mit Amtswochensystem und Pfarr­ kreisverantwortung ist er zuständig für Kinder, Jugend, KUW. Kaum ein Haar in der Suppe «Ich bin überrascht, dass es so gut herausge­ kommen ist», sagt Pfarrer Müller. Es war ja doch ein grosser Schritt. Nur schon lohnmässig «liegen Welten» zwischen seinem früheren und seinem heutigen Beruf. Es habe etwa zehn Jahre gedauert, bis er wieder einen «guten Lohn» verdienen konnte. Er lebe gut damit, dass dieser Lohn tiefer ist als in der Verwaltung und tiefer «als man dies für Leute mit Studium und Kadererfahrung erwar­ ten würde». Die kirchlichen Weiterbildungsangebote be­ urteilt Müller inhaltlich und preislich als top. Ebenso Spesenreglement, Ferien und die Möglich­ keit des Studienurlaubs. Im Falle von Konflikten seien alle Instrumente vorhanden. Allerdings werde Hilfe meist zu spät in Anspruch genommen. Die klaren Abläufe und Prozesse in der Kirchge­ meinde, die grossen Gestaltungsmöglichkeiten schätzt er. Gegenüber der Privatwirtschaft seien die Abläufe zwar träge – daran gefällt ihm, dass es weniger Druck gibt, mehr Zeit für Entscheid­ findungen bleibt und sich so eine Diskussions­ kultur entwickeln kann. Teamarbeit und Wert­ schätzung schreibt Müller gross. Das heisst für ihn: sich einbringen und für Ideen einstehen, einander bei Überlastung aushelfen, gemeinsam das Ge­ sellige pflegen. Was Müller kritisiert: Die Kirche mache zu wenig wirksam auf sich und ihre An­ gebote aufmerksam. P F A R R B E R U F Klare Organisation, top Weiterbildung ©zVg Felix Müller

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